Frankreich Bäume pflanzen im Akkord: Wie sich Paris auf das Leben mit Temperaturen von 50 Grad vorbereitet

Pariser pflanzen Bäume an der Stadtautobahn "Périphérique"
Paris muss grüner werden. Gepflanzt wird da, wo es überhaupt noch möglich ist, wie hier direkt neben der Stadtautobahn "Périphérique"
© Frédéric Combeau/Ville de Paris
Paris ist die am dichtesten besiedelte Metropole Europas. Freie Flächen sind rar, grüner werden muss es trotzdem. Wie soll das gehen? Ein Ortstermin im 12. Arrondissement.

An diesem Nachmittag Ende Mai kann jeder fühlen, worum es geht: Es ist endlich richtig warm in Paris. Außerdem merkt man: Bei steigenden Temperaturen macht es an Verkehrsstraßen wegen des Asphalts und der Mauern kaum einen Unterschied, ob man in der Sonne läuft oder nicht. Ganz anders – nämlich deutlich kühler – ist es im Schatten eines Baumes. Darum braucht die Stadt angesichts von Hitzewellen und Klimawandel dringend mehr davon. Einerseits. Andererseits: Bäume benötigen Platz. Und Paris ist bereits "voll wie ein Ei", wie Emmanuel Grégoire, der Vize-Bürgermeister der Stadt, zu sagen pflegt.   

Um zu erklären, wie viel neues Grün in jüngster Zeit trotzdem im "Ei" Platz gefunden hat und wie viel es noch werden soll, steht Grégoire an diesem Nachmittag am Platz "Sarah Monod" im 12. Arrondissement. Seit diesem Frühjahr sprießen hier 80 zarte Bäumchen auf rund 450 Quadratmetern. Das ist zwar kaum größer als die erlaubte Fläche einer deutschen Schrebergartenparzelle, illustriert aber den Plan: Gepflanzt wird überall dort, wo es überhaupt noch möglich ist. Auf diese Weise sollen jenseits der bestehenden Gärten überall im Stadtgebiet viele begrünte "Klimainseln" entstehen. "Der öffentliche Raum", so Grégoire, "wird unser größter Park."

170.000 Bäume für Paris

Bäume wirken im Stadtgebiet wie natürliche Klimaanlagen; je nach Größe können sie in ihrer Umgebung die Temperatur um rund zehn Grad senken. Gewiss, die neuen Pariser Bäumchen werden bislang wohl eher vier bis fünf Grad schaffen. Aber erstaunlicher als die Idee ist die Konsequenz, mit der die Sozialisten und die Grünen im Pariser Rathaus das Projekt vorantreiben: In den vergangenen drei Jahren wurden 63.500 Bäume gepflanzt, vermeldet Emmanuel Grégoire. Davon 14.000 im Gebiet der Innenstadt. Bis zum Jahr 2026 sollen es insgesamt 170.000 werden.

Erstaunlich ist es vor allem deshalb, weil Paris so kleinteilig ist wie ein Setzkasten: Wenn man etwa Neues hinzufügen will, muss etwas anderes weg. Und das sind in erster Linie Steine und Autos.

Wo heute am Platz "Sarah Monod" das Grün wächst, zirkulierte vorher der Verkehr auf versiegeltem Boden. Rund 35 Straßen wurden nach diesem Vorbild innerhalb von drei Jahren stillgelegt, weitere 6000 Parkplätze wurden außerdem beseitigt und entbetoniert. Es ist ein Kurs, den Bürgermeisterin Anne Hidalgo bereits seit dem Beginn ihrer ersten Amtszeit 2014 verfolgt – und der ihr den Ruf als erbitterter Auto-Feindin einbrachte.

"Das 21. Jahrhundert ist die Schlacht ums Klima"

Fast wie bestellt, knattert nun ein älterer Herr auf seinem Motoroller auf die kleine Schar ringsum Emmanuel Grégoire zu. "Ich bin schwerhörig, ich muss so schreien", schreit er und nein, er werde sich keineswegs beruhigen. Die Bürgermeisterin und ihre Verbündeten produzierten bloß Stau in der gesamten Stadt, schimpft er. Alles drehe sich um Fahrradfahrer, nichts um Leute wie ihn. Damit hat er natürlich völlig Recht. Aber, gibt Grégoire zu bedenken, es gehe nicht anders: "Das 21. Jahrhundert ist die Schlacht ums Klima."

Paris gehört aufgrund seiner besonderen Dichte aus alten Häusern, Straßen und Menschen zu jenen Städten, in denen es bereits jetzt zum sogenannten "Wärmeinseleffekt" kommt. In einigen Jahren, so die Prognose, könnten die stets länger anhaltenden Hitzeperioden das Leben in der Stadt unerträglich machen. Auch das erklärt das Tempo und die Beharrlichkeit der gewählten Abgeordneten im Rathaus. Die Begrünung und Entsiegelung öffentlicher Flächen ist nur eine bereits laufende Maßnahme: Ab dem Sommer wird die Stadt mit der umfassenden Umrüstung der Gebäude beginnen. Im Oktober soll eine eintägige Krisenübung gestartet werden. "Paris bei 50 Grad", heißt das Szenario. Klimawandel als Rollenspiel – verbunden mit der Hoffnung, dass es nicht soweit kommt.    

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