Wenn Europas Bildungsminister mit ihren Hausaufgaben weiter trödeln, werden sie das gemeinsame Klassenziel im Jahr 2010 verfehlen, warnt EU-Kulturkommissarin Viviane Reding. An diesem Dienstag will Reding die Minister in Brüssel zur Eile ermahnen. Denn der Bericht zum Stand der Bildung in der Europäischen Union, den die Kommissarin dabei vorlegen wird, zeigt klaffende Lücken im Wissen der europäischen Schulabgänger auf.
"Obwohl investiert werden müsste, geschieht das nicht", klagt Reding. "In manchen Ländern sinken die Bildungsausgaben sogar." Dabei seien eine gute Bildung und Ausbildung nötig, damit Europa im internationalen Wettbewerb mithalten und Arbeitsplätze schaffen könne: "In den vergangenen fünf Jahren waren 60 Prozent der neu geschaffenen Stellen solche mit hoher Qualifikation."
Abiturienten-Anteil soll rauf auf 85 Prozent
Doch viel zu viele junge Europäer brechen vorzeitig die Schule ab, jeder sechste kann nach den Zahlen der Pisa-Studie nicht einmal ausreichend Lesen. 18,8 Prozent der Europäer zwischen 18 und 24 Jahren haben weder das Abitur noch eine Lehre gemacht - auch Deutschland ist dabei mit 12,5 Prozent vom EU-Ziel 10 Prozent noch ein gutes Stück entfernt. Den Anteil der Abiturienten wollen die EU- Länder bis 2010 auf 85 Prozent steigern - in Deutschland liegt dieser Wert derzeit bei 77,4 Prozent, die Gesamt-EU erreicht 75,4 Prozent.
Es gibt allerdings auch Musterschüler. Finnland gehört dazu. Dort würden Jugendliche mit Lernschwierigkeiten rechtzeitig angesprochen, lobt Reding. Eltern, Lehrer und Psychologen entwickelten gemeinsam Lösungen für jeden schwachen Schüler, statt ihn als Problemfall aus dem Klassenverband auszuschließen. "Man kann das finnische System nicht eins zu eins nach Griechenland, Portugal oder Süditalien verpflanzen", räumt die Bildungskommissarin zwar ein. Aber positive Ansätze aus anderen EU-Ländern übernehmen könne man schon.
Deutsche Lehrer haben ein Autoritätsproblem
Auch Deutschland mit seinen großen Disziplin-Problemen in vielen Schulklassen sollte vom EU-Ausland lernen: "In anderen Ländern werden die Lehrer nicht unbedingt besser bezahlt, aber besser respektiert", meint Reding. In Kulturen wie in Finnland, wo das Bildungssystem gute Ergebnisse bringt, stelle niemand die Autorität der Lehrer in Frage. Die Eltern arbeiteten vielmehr eng mit ihnen zusammen.
Mit dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten am 1. Mai 2004 wird sich die Bildungsstatistik in der Europäischen Union zwar verbessern, weil die jungen Europäer im Osten auf einigen wichtigen Feldern die Nase vorn haben. Dennoch ermahnt Reding alle EU-Staaten, ihre jeweiligen Rückstände rasch aufzuholen. Nur so ließen sich die Vorgaben der europäischen Staats- und Regierungschefs vom EU-Gipfel in Barcelona Anfang 2002 noch rechtzeitig erreichen.
Gut Ausgebildete wandern ab
Die Chefs hatten unter anderem gefordert, jeder junge Europäer solle künftig neben der Muttersprache zwei Fremdsprache lernen. Doch die Beherrschung von drei Sprachen ist noch Zukunftsmusik: "Derzeit sind wir bei 1,7", sagt Reding. Und die Anstrengungen müssten von der Vor- und Grundschule bis zur Universität reichen: Nur 23 Prozent aller erwerbstätigen EU-Bürger hätten einen Hochschulabschluss. In Japan seien es 36, in den USA 37 Prozent. Und die gut Ausgebildeten, klagt Reding, fänden anderswo bessere Bedingungen: "Wir haben 100 000 europäische Forscher, die in den Vereinigten Staaten arbeiten."
Allerdings: Schulreformen seien oft schmerzhaft, räumt die Kommissarin ein. Knappe Kassen machten die geforderten Verbesserungen noch schwieriger: "Die zuständigen Minister haben größte Schwierigkeiten", sagt Reding, "und die Ergebnisse zeigen sich meist erst Jahre später".