Was ist in der russischen Stadt Brjansk am Donnerstagmorgen geschehen? Glaubt man der Propaganda des Kremls, so drangen ukrainische "Saboteure" auf das Territorium Russlands vor, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Nach zahlreichen Ungereimtheiten und widersprüchlichen Informationen einigte man sich inzwischen auf die folgende Darstellung: "Nationalisten" hätten in zwei Dörfern nahe der ukrainischen Grenze Minen verteilt, zivile Autos beschossen, zwei Männer getötet und einen Jungen verletzt.
Am Freitag präsentierte der russische Inlandsgeheimdienst FSB vermeintliche Beweise für die Operation der "Saboteure": die zwei Autos, die beschossen worden sein sollen. Doch viele Details, die auf den entsprechenden Aufnahmen zu sehen sind, passen nicht zu der Darstellung des Geschehens und werfen viele Fragen auf.
"Talentiert beschossen"
Der erste Wagen ist ein blauer Schiguli, der allem Anschein von allen Seiten beschossen wurde. "Das Auto ist sehr talentiert von verschiedenen Standpunkten aus ins Visier genommen worden", fasste der Automobilexperte Sergej Aslanjan in einem Gespräch mit dem Team von Alexej Nawalny zusammen. "Überall sind Einschusslöcher zu sehen: vorne, hinten, an den Seiten, in den Scheiben. Das Nummernschild ist abgerissen. Somit ist es unmöglich festzustellen, was das für ein Auto ist. Wenn es in diesem Dorf noch Überlebende gibt, will ich sie gern fragen: Wisst ihr überhaupt, wem das Auto gehört? Habt ihr es schon einmal gesehen?", bemerkte er sarkastisch.
"Ich frage mich sowieso, ob überhaupt jemand in diesem Dorf lebt. Und wenn ja, warum diese Leute bislang nicht aufgetaucht sind – bis auf den zehnjährigen Jungen, der natürlich ein Held ist", fügte Aslanjan spöttisch hinzu.
Nur ein "Held" und zwei namenlose Körper
Die Rede ist von dem "Jungen Fjodr", wie ihn die Propaganda umgehend getauft und zum Helden erhoben hat. Er soll in dem blauen Schuguli verletzt worden sein. Und trotz seiner Verletzung zwei jüngere Mädchen gerettet haben, die mit ihm im Auto gewesen sein sollen. Der Fahrer des Wagens soll jedoch getötet worden sein.
Auf den Aufnahmen des FSB ist ein zusammengesunkener Körper zu erkennen. Ob es sich um einen Toten oder eine Attrappe handelt, lässt sich nicht feststellen. Dabei schließt Aslanjan nicht aus, dass man entweder aus einem Leichenhaus einen Toten beschafft hat oder tatsächlich jemanden umgebracht hat. "Russland kennt in diesem Sinne keine Gnade. Wenn jemand um der Glaubwürdigkeit willen umgebracht werden muss, dann wird er umgebracht."
Makellos sauber mitten im Schlamm
Auch im zweiten Wagen, der als Beweis herhalten soll, ist ein Körper am Steuer zu sehen. Weitere Einzelheiten sind jedoch nicht auszumachen. Der rote Lada Niwa weist keine Einschusslöcher auf.
Was aber bei beiden Autos auffällt, ist ihre Sauberkeit. "Wurden sie vorher gewaschen? Oder ist da im Frühling, zur Zeit der Rasputiza, alles so trocken, dass der Zustand makellos ist?", wundert sich der Experte. Rasputiza wird in Russland jene Zeit im Frühjahr und Herbst genannt, in der sich die Straßen durch Schneeschmelze bzw. die Herbstregenfälle in Schlamm verwandeln.
Die beiden präsentierten Autos sehen jedoch so aus, als ob sie gerade aus der Waschanlage gerollt sind. Nicht einmal an den Rädern oder den Radkappen ist Dreck zu erkennen – obwohl die Straßen in Schlamm versinken.
"Nicht einmal eine Drei" für den FSB
"Eine sehr misslungene Arbeit. Die Degradierung der staatlichen Institute Russlands erstreckt sich in alle Richtungen", lautet daher das Urteil von Aslanjan. "Nicht einmal eine Drei", würde er für diese Arbeit geben.
Auch die Erscheinung der Männer, die sich zu der Operation bekannt haben, wirft viele Fragen auf. Kaum hatte Wladimir Putin am vergangenen Donnerstag "Terroristen" für die vermeintliche Sabotageaktionen verantwortlich gemacht, übernahm das sogenannte "Russische Freiwilligenkorps" die Verantwortung für das Geschehen Ein Video zeigt zwei schwer bewaffnete Männer vor dem Eingang der Sanitätsstation im Dorf Liubechane.
"Saboteure" wie aus dem Ei gepellt
Die Männer sind in Montur und Tarnkleidung zu sehen. Auf den Armen tragen sie gelbe Binden. "Für einen Saboteur ist es unabdingbar, sich zu identifizieren", lacht Aslanjan und formuliert die Bedenken, die bereits viele Experten geäußert haben. "Man muss unbedingt, mit einem gelben Band sich zu erkennen geben. Damit auch jeder weiß, dass man ukrainischer Saboteur ist."
"Saubere Schuhe, saubere Anzüge, und Maschinengewehre, für die keine Nato-Munition vorgesehen ist", weist Aslanjan auf ein weiteres interessantes Detail hin. Die Propaganda des Kremls wird seit Donnerstag nicht müde, zu betonen, dass der "Junge Fjodr" mit einer Nato-Kugel verwundet worden sei. Die Männer des sogenannten "Russische Freiwilligenkorps" tragen jedoch Kalaschnikows, die selten mit Nato-Munition schießen. "Clowns in perfekt weißen Anzügen", so das Urteil von Aslanjan.
Und es drängt sich noch eine Frage auf, die von zentraler Bedeutung ist: Was sollen Saboteure überhaupt in einer Gegend gemacht haben, die keinerlei militärische Ziele bietet? Auf vorbeifahrende Autos schießen?