Der Deutsche Ethikrat sieht mögliche Erleichterungen für Menschen mit einer Corona-Schutzimpfung kritisch. Derzeit könne es wegen "der noch nicht verlässlich abschätzbaren Infektiosität" der Geimpften "keine individuelle Rücknahme staatlicher Freiheitsbeschränkungen" geben, urteilte das Expertengremium am Donnerstag. Mit fortschreitenden Impfungen sollten die derzeitigen Freiheitsbeschränkungen für alle gelockert werden. Politiker aus Koalition und Opposition begrüßten die Empfehlungen. Die Pressestimmen.
"Süddeutsche Zeitung": "Grundrechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies sachlich geboten und verhältnismäßig ist, etwa um Leben zu schützen. Wer als Geimpfter das Gesundheitssystem nicht mehr belastet und andere deutlich weniger gefährdet, kann daher verlangen, seine Rechte zumindest in Teilen zurückzuerlangen. Ja, dazu sind Impfpässe nötig und das kann Impfskeptiker beeinflussen. Beides ist im Interesse der Freiheitsrechte hinzunehmen. Auch das Diskriminierungsverbot greift hier nicht. Es erlaubt Ungleichbehandlung, wenn ein sachlicher Grund besteht. Ein Impfschutz kann ein solcher sein. Der Ethikrat wird die Frage - "Besondere Regeln für Geimpfte" - bald wieder vor sich haben. Er sollte sich einer größeren Freiheit für Geimpfte öffnen. Sie wäre auch ein Zeichen der Hoffnung: Es geht aufwärts. Noch nicht für alle, aber doch für immer mehr Menschen."
"Neue Zürcher Zeitung": "Das Impfen hat in Deutschland noch gar nicht richtig begonnen, und trotzdem diskutiert das Land schon mit Leidenschaft darüber, ob die staatlichen Freiheitsbeschränkungen für Geimpfte aufgehoben werden können. (...) Es ist wie so oft in Deutschland: Erst kommt die Moral, dann kommen die Fakten. Auch der Ethikrat des Landes hat nun eine Stellungnahme vorgelegt, in der er sich dagegen ausspricht, Freiheitsbeschränkungen vorschnell zurückzunehmen.(...) Einen Kollaps kann natürlich niemand wollen. Aber droht er wirklich, und wenn ja, wo? Die sogenannten Sieben-Tage-Inzidenzen sind in meisten deutschen Bundesländern inzwischen wieder zweistellig. Auch die Zahl der freien Intensivbetten gibt keinen Anlass, einen nationalen Schwächeanfall an die Wand zu malen."
"Passauer Neue Presse": "Mit seinen differenzierten und klugen Empfehlungen zum Umgang mit Corona-Geimpften hat der Ethikrat sowohl Hoffnung gemacht als auch vorschnelle Erwartungen gedämpft. Eine Sonderbehandlung Geimpfter kann solange nicht gerechtfertigt werden, als nicht klar ist, ob eine Ansteckungsgefahr trotz des "Pieks" weiter besteht. Jenseits dieser ernüchternden, aber eben auch realistischen Beschreibung des Ist-Zustands legt das Beratungsgremium eine Öffnungsperspektive vor, die Schritt für Schritt zu den gewünschten Erleichterungen führt. Der Gesetzgeber muss nun entscheiden. Da auch Möglichkeiten beschrieben werden, ab einem bestimmten Zeitpunkt zwischen Geimpften und Ungeimpften zu unterscheiden, ist das Konfliktthema einer "Impfpflicht durch die Hintertür" nicht wirklich beseitigt. Es wird die Öffentlichkeit weiter beschäftigen"
"Stuttgarter Nachrichten": "Das Motto staatlicher Verantwortung muss heißen: Vor dem Virus sind alle gleich. Mit klugen Ausnahmen im erweiterten Pflegebereich. Doch der Ethikrat wagt auch einen Blick in die - hoffentlich nahe - Zukunft. Gibt es ausreichenden Impfschutz für alle, dann kann er sich vorstellen, dass private Anbieter im Gastronomie- und Kulturbereich für die Allgemeinheit aufgrund der Vertragsfreiheit für alle akzeptabel Geimpfte bevorzugen dürfen. Dazu müssten Lokale und Hallen aber erst einmal wieder geöffnet sein. Ob Geimpfte sinnvollerweise später privilegierter behandelt werden als erklärte Impfverweigerer, muss ohnehin die Politik verantworten. Dazu muss sie dann aber viel mehr wissen als zum jetzigen Zeitpunkt."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Sprache verändert das Bewusstsein. In die Impfdebatte haben sich Worte eingeschlichen, die das Bewusstsein über unsere Grundrechte gefährlich verändern können. Plötzlich ist die Rede von "Sonderrechten" und "Privilegien". Selbst die Bundeskanzlerin sprach jüngst von "neuen Freiheiten". Der Ethikrat empfiehlt, solche Begriffe zu vermeiden. Gut so. Denn ganz gleich, wie lange die Pandemie mit ihren Beschränkungen noch dauert: Die Eingriffe in die Grundrechte sind ein Ausnahmezustand. Die Regierung darf die Grundrechte nur einschränken, weil unsere Volksvertreter ihr dies unter Bedingungen erlaubt haben. Und niemand muss sich bedanken, wenn er sie zurückbekommt. Das aber droht durch falsche Begriffe in Vergessenheit zu geraten."
"Darmstädter Echo": "Wohin würde eine Sonderbehandlung – auf Reisen, in Konzerten, beim Einkaufen oder bei Sportveranstaltungen – denn führen? In soziale Kontrolle und noch größere Unfreiheit für viele. Die Gesellschaft würde zerrissen. Es gibt, auch wenn man das kaum noch hören mag, nur eine Empfehlung, die wirklich taugt: Impfen, impfen, impfen. Je schneller, desto besser. Nur so wird auch die unselige Debatte um vermeintliche Sonderrechte schnell gegenstandslos. Merke: Auch für nicht vorhandene Vakzine entrichtet man einen Preis – wenn auch nicht an Pharmafirmen."

"Hessische Niedersächsische Allgemeine": "Solidarität und Rücksichtnahme gehören zum gesellschaftlichen Zusammenleben dazu. Für Geimpfte sollte es etwa kein Problem sein, eine gewisse Zeit lang noch in Straßenbahn oder Ämtern eine Maske zu tragen. Schwierig wird es mit Vorgaben im privatwirtschaftlichen Raum. Dort wird es eine Abstimmung mit den Füßen geben. Hoteliers, Gastwirte oder Friseure dürfen Angebote für Geimpfte machen, wenn sie wollen. Und keinem Geimpften kann verboten werden, auch ungefragt seinen Impfpass vorzuzeigen. Insgesamt sollte die Debatte aber nicht zu Gräben führen, denn sie hat ein Verfallsdatum - das ist der Tag, an dem soviele Menschen geimpft sind, dass an Normalität endlich wieder zu denken."

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"Badische Neueste Nachrichten": "Augenmaß beweist der Ethikrat aber mit seiner Empfehlung, die strengen Infektionsschutzmaßnahmen etwa für Pflegeheime zu lockern, sobald Bewohner und Personal geimpft sind. Für alte, behinderte und chronisch kranke Menschen bedeutet die Pandemie besonders heftige Belastungen. Sobald sie geimpft sind, ist es absolut vertretbar, dass nicht mehr sie, sondern ihre Pfleger oder Angehörige im Umfeld die Hauptlast des Infektionsschutzes tragen."