Politologe Frank Decker Einzug der AfD in den Bundestag ist kaum zu verhindern

Die AfD ist bemüht, sich als Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft darzustellen. Im stern-Interview analysiert der Bonner Politologe Frank Decker die Partei, ihren Wahlerfolg, ihren Zulauf aus dem linken Milieu und ihre Chancen bei den nächsten Bundestagswahlen.

Herr Professor Decker, die rechts-populistische Alternative für Deutschland (AfD) ist am Sonntag mit zweistelligen Ergebnissen in drei Landtage eingezogen. Erleben wir gerade eine tektonische Verschiebung der deutschen Parteienlandschaft?

Ja, das kann man so sehen. Der Erfolg der AfD wird keine Eintagsfliege bleiben. Er wird durchtragen bis ins nächste Wahljahr. Die AfD wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in den Bundestag einziehen. Das bedeutet: Die Große Koalition wird weiterregieren müssen. Die Haupttrennlinie im politischen Wettbewerb wird zwischen der AfD und allen anderen Parteien verlaufen. Wir bekommen dann quasi österreichische Verhältnisse.

Das klingt bei Ihnen so, als sei der Einzug der AfD in den Bundestag nicht mehr zu verhindern?

Schwerlich. Denn erstens wird uns die Auseinandersetzung um die Flüchtlingspolitik auch im nächsten Jahr weiter beschäftigen. Und zweitens darf man nicht übersehen, dass die AfD programmatisch durchaus breiter aufgestellt ist. Sie vertritt Positionen, die von den anderen Parteien, vor allem von der Union, nicht mehr vertreten werden. Die AfD kann deshalb nicht nur Protestwähler, sondern auch Überzeugungswähler hinter sich scharen.

Haben denn die anderen Parteien keine Chance, die AfD unter die 5-Proent-Hürde zu drücken?

Kaum. Man muss sich darauf einstellen, dass es in Deutschland so wie in anderen europäischen Ländern auch eine rechtspopulistische Kraft im Parteiensystem gibt. Das zeigt ein Blick auf die Wähleranalyse. Von Arbeitern und Arbeitslosen erhält sie fast doppelt so viele Stimmen, wie sie insgesamt bekommt. In der Universitätsstadt Mainz hat sie beispielsweise 8 Prozent erhalten, in der Industriestadt Ludwigshafen waren es 19 Prozent. 

Es ist also gar nicht so sehr das enttäuschte Bürgertum, das der AfD zuläuft?

Die Wählerklientel entspricht geradezu klassisch dem Profil der Rechtspopulisten in anderen europäischen Ländern. Die AfD punktet bei einer Klientel, die in den vergan-genen Jahren durch Nicht-Wahl geglänzt hat. Sie macht diesen Wählern ein anderes politisches Angebot. Insofern trägt die Partei den Namen „Alternative für Deutschland“ zu Recht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wer hat mittelfristig stärker an der Existenz der AfD zu leiden – die CDU oder die SPD?

Das hält sich die Waage. Wenn Sie sich die Wanderungsanalysen anschauen, dann sehen Sie, dass die linken Parteien fast so viel abgeben wie das bürgerliche Lager. Das ist auch plausibel. Sonst würde die AfD bei Arbeitern nicht so stark punkten. Die Union ist insofern der Leidtragende, als sie Koalitionen mit der FDP praktisch nicht mehr bilden kann. Insgesamt kommt es zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach rechts.

Sachsen-Anhalt steuert mutmaßlich auf ein schwarz-rot-grünes Bündnis zu, eine sogenannte Kenia-Koalition. Das gab es noch nie. Sind solche ungewöhnlichen Bündnisse gut für das Land?

Nein. Denn es ist eine Koalition, in der sich sämtliche Parteien der Mitte zusammentun müssen, um gegen die neue Konkurrenz zu regieren. Die AfD kann sich dadurch als einzig wahre Opposition darstellen. Die Folge ist, dass sie weiter erstarkt. Der normale Mechanismus des Parteiensystems ist damit außer Kraft gesetzt.

Im einstmals klassischen Arbeitermilieu in Mannheim hat die AfD ein Direktmandat errungen. Was macht sie so attraktiv für den sogenannten „kleinen Mann“?

Der kleine Mann vertritt in Fragen der Zuwanderungspolitik durchaus konservative Positionen, auch wenn er eigentlich dazu neigt, linke Parteien zu wählen. Ich rechne deshalb damit, dass die AfD ihre Programmatik an ihre Wählerstrukturen anpassen wird. Sie wird mehr in Richtung Protektionismus gehen und sozialpopulistischer werden. Auch das entspricht dem Vorgehen der meisten rechtspopulistischen Parteien in Europa.

Derzeit betreibt die CDU noch eine strikte Abgrenzungsrhetorik zur AfD. Wird das irgendwann einmal aufbrechen?

Die Entwicklung der AfD spricht eher dagegen. Die Partei wird sich unter dem Eindruck der Wahlerfolge weiter radikalisieren. Deshalb kommt sie als Partner für die Union auf allen Ebenen des parlamentarischen Systems nicht in Frage, bis hinunter zur kommunalen Ebene. Das muss aber nicht bedeuten, dass man sich auch inhaltlich von den AfD-Positionen fern hält. Das zeigt sich ja schon heute bei der CSU, die in der Zuwanderungsfrage dem Kurs der Kanzlerin deutlich widerspricht.

Die AfD-Chefin Frauke Petry frohlockte angesichts der Wahlerfolge schon, dass sich nun wieder eine bürgerliche Mehrheit herauskristallisiere.

Das Attribut "bürgerlich" ist Wunschdenken. Auf die AfD trifft es kaum noch zu, denn unter Petry hat sich ihr Kurs immer weiter radikalisiert. Eine Partei, die rechtsextreme Elemente in den eigenen Reihen duldet und eine so aggressive Wähleransprache pflegt wie die AfD, kann für die Union niemals als Partner infrage kommen.

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