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stern-Chefredakteur Will sich Deutschland an eine Partei wie die AfD gewöhnen? Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern

stern-Titel: Fit für den Sommer
stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz spricht im Editorial über die neue Ausgabe – und den jüngsten Umfragesprung der AfD
© stern
Im Editorial des aktuellen stern spricht Chefredakteur Gregor Peter Schmitz über das Erstarken der AfD – und die ratlosen Reaktionen der etablierten Parteien.

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist Usus im politischen Berlin, nicht mit der AfD zu sprechen. Über die AfD sprechen Politikerinnen und Politiker hingegen viel, eigentlich ständig. Unionsvertreter entschuldigen sich bei Terminen, dass die Bundestagsbüros "dieser Leute" so nah bei ihren lägen, es sei ja unzumutbar für den Besucher, an ihnen vorbeilaufen zu müssen. Sozialdemokraten erklären einem aufgebracht, wie die AfD über ihre Parteistiftung dauerhaft Nachwuchs aufbauen wolle, Begabtenförderung von rechts also. Grüne und Liberale legen dar, dass der jüngste Umfragesprung der AfD – auf 18 Prozent, gleichauf mit der Kanzlerpartei SPD – gar nicht der wahre Schock sei, sondern der größere Anstieg rund ein Jahr zuvor, den man ignoriert habe.

Alle diese Gespräche haben eines gemeinsam: Sie beschreiben die Alternative für Deutschland nicht mehr wie eine Alternative, die schon bald auf dem Müllhaufen der Geschichte landen könnte. Sie skizzieren sie als eine politische Kraft, mit der man dauerhaft umzugehen lernen muss.

Wer ist Schuld am Erfolg der AfD?

Diese Normalisierung ist erschreckend genug. Weit erschreckender ist, dass ich noch keinen politischen Vertreter getroffen habe, der schlüssig erklären kann, wie a) dieser Umgang funktionieren und wie b) der AfD-Stimmenanteil irgendwann wieder schrumpfen soll. Derzeit geht es eher um Schuldzuweisung: Für die Union ist natürlich die Ampelkoalition mit ihrer vermeintlichen Gängelung und ihrem chaotischen Heizungsgesetz schuld am AfD-Boom. Die Ampel hält der Union umgekehrt entgegen, diese wolle die Rechten rechts überholen und mache sie so erst stark.

Keiner der parteiischen Erklärungsversuche überzeugt: Die Union überdreht zwar in ihrem Habeck- und Heizungs-Bashing, aber selbst Markus Söder spricht im Bayern-Wahlkampf nicht wieder von "Asyltourismus" oder schafft den Klimaschutz ab. Umgekehrt ist das Heizungsgesetz zwar heillos vermurkst. Aber die Ampelkoalition hat voriges Jahr wirklich unvermurkst geliefert, etwa bei der Energiebeschaffung. Wurde ihr dies gedankt, weil Wähler sagten: Das hätten die Populisten aber nie geschafft? Nein. Der oft sehr stille Kanzler scheint dennoch zu glauben, wenn erst mal Heizgesetz und Haushalt stünden, werde sich die rechte Wut wieder legen. Nur ist das voriges Jahr auch nicht passiert. Bisweilen ist nun zu hören, rechte populistische Parteien gehörten halt zur Demokratie in vielen Ländern, manche regierten gar mit. Aber will sich Deutschland daran gewöhnen?

Risiken und Nebenwirkungen einer Biden-Kandidatur

Wenn Politik, wie oft zitiert, mit der Betrachtung der Wirklichkeit beginnt, müsste jemand Joe Biden endlich sagen: Es war schön mit dir, Joe, aber noch einmal wirst du nicht Kandidat für das mächtigste politische Amt der Welt. Leider kenne ich niemanden, der dies Biden zuflüstern könnte, und anscheinend kennt auch in der Bundesregierung niemand jemanden. Fragt man Ampelvertreter in Berlin zu einem Präsidenten, der im November 81 alt wird und bei Auftritten immer mal wieder stürzt, flüchten sie sich in hilflose Ausführungen.

US-Präsident Joe Biden
US-Präsident Joe Biden bei einem Sturz am 1. Juni
© Brendan Smialowski / AFP

Sie erklären wortreich, wann genau Biden etwas Schlaues gesagt habe, was seine reiche Erfahrung zeige – oder dass man schon aus historischen Zusammenhängen nicht einem Präsidenten, der wieder antreten wolle, seinen Wunsch versagen könne. Dummerweise ist wankelmütigen US-Wählern beides vermutlich ziemlich egal, wenn sie solche Bilder sehen. Daher sollte auch unsere Bundesregierung sich besser auf Risiken und Nebenwirkungen einer Biden-Kandidatur einstellen.

Erschienen in stern 24/2023

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