Afghanistan-Abschiebungen SPD-Politiker fordern Annäherung an Taliban-Regime

Afghanistan-Abschiebungen: SPD-Politiker fordern Annäherung an Taliban
Polizeibeamte begleiten 2019 einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug. In einzelnen Fällen werden Menschen aus Afghanistan abgeschoben. 
© Michael Kappeler/ / DPA
Deutschland pflegt keine offiziellen Gesprächskanäle zum Islamistenregime in Afghanistan, was Abschiebungen erschwert. SPD-Politiker fordern nun mehr Pragmatismus.

Die Gewalttat von München entfacht die Abschiebedebatte neu. Bundeskanzler Olaf Scholz ist unmittelbar nach der mutmaßlich islamistisch motivierten Amokfahrt vorgeprescht. 

"Wer Straftaten in Deutschland begeht, wird nicht nur hart bestraft und muss ins Gefängnis", sagte Scholz, "sondern er muss auch damit rechnen, dass er seinen Aufenthalt in Deutschland nicht fortsetzen kann." Das gelte auch für Länder, in die Rückführungen schwierig seien, so Scholz. 

Gemeint vor allem: Afghanistan, das seit 2021 unter Kontrolle der Taliban steht. Deutschland lehnt offizielle Gespräche mit dem Islamistenregime bislang ab, unterhält keine diplomatische Vertretung in dem Land, um die radikalen Machthaber nicht aufzuwerten. 

Das erschwert Abschiebungen nach Afghanistan enorm, macht sie praktisch nur über Umwege möglich. Zwar startete kurz nach dem Messeranschlag in Solingen im vergangenen August ein Abschiebeflug aus Deutschland nach Afghanistan, allerdings zum ersten Mal seit der Machtergreifung der Taliban vor drei Jahren. 

Die Tat von München rückt abermals die Asylpolitik in den Fokus und die Frage: Muss Deutschland mit den Taliban verhandeln, um direkte Abschiebeflüge nach Afghanistan zu ermöglichen? 

Politiker der Kanzlerpartei fordern jetzt ein Umdenken, plädieren für mehr Pragmatismus. "Es muss unser Ziel sein, Direktflüge nach Afghanistan zur Rückführung ausreisepflichtiger Asylbewerber zu ermöglichen", sagt Dirk Wiese, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, dem stern. "Das bedeutet Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern in Afghanistan. Aber es ist das Gebot der Stunde." Auch hier sei "kein Platz für Ideologien oder moralische Maximalforderungen", sagt Wiese. Sein Wort hat Gewicht. Wiese ist Sprecher des mächtigen Seeheimer Kreises, der konservativen Strömung der Bundestagsfraktion.

Unmittelbare Abschiebeflüge nach Afghanistan offenbar nicht geplant

Ähnlich sieht es Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Auch Schmid wirbt für intensivere Kontakte nach Kabul. Zwar halte er es weiterhin für richtig, Abschiebungen nach Afghanistan über Nachbarländer zu organisieren, auch, wenn das mühselig sei. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Das Taliban-Regime politisch anzuerkennen, halte er für den falschen Weg. "Allerdings sollten wir nach der Gewalttat von München unsere Kontakte zu den Taliban auf technischer Ebene intensivieren, etwa zwischen unseren Innenbehörden", sagte Schmid dem stern. "Außerdem sollten wir eine diplomatische Präsenz vor Ort einrichten." So lasse sich die Lage besser einschätzen und Fragen, wie regelmäßige Abschiebungen schwerer Straftäter oder abgelehnter Asylbewerber von Deutschland nach Afghanistan gelingen könnten, "direkter und einfacher lösen".

Kurz nach der Gewalttat von München hatten sich die Taliban als Gesprächspartner angeboten, sich offen für eine Zusammenarbeit bei Abschiebungen gezeigt. Die Machthaber in Kabul gaben allerdings zu verstehen, dass sie für eine mögliche Kooperation in dieser Frage eine Gegenleistung erwarten würden.  

"Wir haben unsere Bereitschaft gezeigt, die konsularischen Dienste für Afghanen in Deutschland wieder aufzunehmen, die alle Aspekte der Migration abdecken", zitierte die Deutsche Presse-Agentur den Sprecher des Taliban-Außenministeriums, Abdul Kahar Balchi. 

Einen Umweg über Nachbarländer Afghanistans wie Pakistan, wie er bereits in der Vergangenheit von der Bundesregierung erwogen wurde, lehnen die Taliban ab, werten dies als Verstoß gegen geltende Konventionen. "Wir sind nicht bereit, irreguläre Verfahren zu akzeptieren, die Afghanistan umgehen und eine Gefahr für unsere nationale Sicherheit darstellen", sagte Balchi. Eine mögliche Bestrafung der Straftäter nach ihrer Ankunft in Afghanistan solle über bilaterale Gespräche geregelt werden. 

In anderen Worten: Die international isolierten Islamisten pochen auf direkte Gespräche, sehen in Abschiebungen offenbar die Chance, international Anerkennung zu gewinnen. 

Nach der Gewalttat von München stehen weitere Abschiebeflüge mit Straftätern von Deutschland nach Afghanistan offenbar nicht unmittelbar bevor, also auch nicht kurz vor der Bundestagswahl. Auf eine entsprechende Nachfrage sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin, "also, wenn Sie die nächsten Tage, bis womöglich dem 23. Februar, meinen, da würde ich Ihnen jetzt nicht übermäßig Hoffnungen machen wollen". Man sei intensiv dran und könne nicht genau sagen, wie schnell das gehe. 

Innenministerin Nancy Faeser, SPD, hatte nach der Gewalttat von München betont, dass die Abschiebungen nach Afghanistan weitergehen würden.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums ergänzte, man könne solche Maßnahmen nicht konkret ankündigen oder über Zeitpunkte spekulieren, um diese nicht zu gefährden und Personen zu warnen. Es werde sehr intensiv daran gearbeitet, auch weitere Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen.

Quadrell mit Scholz, Merz, Weidel und Habeck

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz treffen beim Schlagabtausch auf die Kanzlerkandidaten Alice Weidel (AfD) und Robert Habeck (Grüne). Das "Quadrell" wird von Nachrichten-Moderatorin Pinar Atalay und Moderator Günther Jauch moderiert. Es wurden die vier Kanzlerkandidaten ausgewählt, deren Parteien aktuell laut Umfragen am stärksten sind. 

Am Sonntag, 16. Februar 2025 ab 20.15 Uhr live auf RTL, ntv und beim stern. In einem Live-Faktencheck werden beim stern die wichtigsten Aussagen der vier Kandidaten auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. 

Transparenzhinweis: Der stern ist Teil von RTL Deutschland.

Mit Material der Nachrichtenagentur DPA