Manchmal sind juristische Texte erstaunlich klar. Artikel 14, Absatz zwei des Grundgesetzes lautet: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich auch dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Im Grundgesetz steht dieser Passus als Schlüssel für das, was wir gewöhnlich als "Soziale Marktwirtschaft" bezeichnen. Nun gibt es in Deutschland immer wieder Politiker, die den Begriff "Soziale Marktwirtschaft" wie eine Monstranz vor sich her tragen. Und es gibt außerdem noch Politiker, die sich im entscheidenden Moment nur sehr unwillig an Artikel 14 erinnern wollen. Meist haben sie eines gemein: Sie sind Mitglieder der Unionsparteien.
Am Donnerstag ist endlich jener Gesetzentwurf beschlossen worden, der unter anderem die Höhe der Managergehälter regeln soll. Es geht jedoch um mehr: Im besten Falle hätte dieses Gesetz zu einem dringend nötigen Zähmungsversuch für die Wirtschaft werden können. Mehr als ein halbes Jahr lang hat die Große Koalition darüber verhandelt, sowohl SPD als auch CDU/CSU haben sich in den Gesprächen nichts geschenkt. Dabei ist jedoch nur ein windelweicher Kompromiss rausgekommen, der nicht mehr als ein erster Schritt sein kann - gerade weil man eine Gemeinwohlverpflichtung für die Wirtschaft vergeblich sucht.
Kurssteigerung nach Massenentlassungen
Das ist vor allem die Schuld der Union. In den Gesprächen über den Gesetzentwurf haben die Sozialdemokraten auch eine Änderung des Aktiengesetzes ins Gespräch gebracht. Dort sollte verbindlich festgelegt werden, dass Aktiengesellschaften (und damit auch deren Manager, die das Eigentum verwalten) nicht nur ihren Aktionären, sondern auch den Mitarbeitern und der Allgemeinheit verpflichtet sind. Das ist - wenn man nach den Buchstaben des Grundgesetzes geht - eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Leider galt in den vergangenen beiden Jahrzehnten im Kosmos der börsennotierten Unternehmen das Prinzip des Eigentümernutzens mehr als die bundesdeutsche Verfassung. Die Politik hat über Partei- und Koalitionsgrenzen hinweg zugesehen, wie zehntausende Menschen entlassen wurden, weil dies kurzfristig dem Unternehmensergebnis diente. Die kalkulierte Existenzvernichtung zahlte sich für Aktionäre gleich doppelt aus: in höheren Kursen und höheren Dividenden. Dagegen musste der Staat (stellvertretend für die Gesamtheit der deutschen Bürger) zuerst mit den gestiegenen Kosten für Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe fertig werden, nur um sich dann einige Jahre später wieder anhören zu müssen, dass es angeblich einen Fachkräftemangel gäbe, der schleunigst durch Bildungsoffensiven und Fördermitteleinsatz bekämpft werden müsse.
Die Union lehnte es in den vergangenen Wochen trotzdem ab, die börsennotierte Wirtschaft per Gesetz an ihre verfassungsmäßige Rolle zu erinnern. In den Verhandlungen setzten CDU und CSU andere Schwerpunkte: So dürfen Manager ihre Aktienoptionen erst nach vier Jahren einlösen. Es wird eine Obergrenze für Abfindungen geben. Außerdem sollen Boni begrenzt werden. Das ist gut gemeint. Aber auch nicht mehr.
Ein Mentalitätswandel muss her - notfalls per Gesetz
Es geht nicht nur um die Begrenzung von Gehältern. Würde man diese Diskussion isoliert führen, wäre es nichts weiter als noch eine Neiddebatte. Die Gehaltsfrage hat zwar in der Vergangenheit vereinzelt dazu geführt, dass Manager den schnellen Erfolg der langfristige Wirkung vorgezogen haben.
Die Wurzel allen Übels liegt jedoch in der Entkoppelung des immer undemokratischer werdenden Wirtschaftslebens von der Gesellschaft. Wo die Philosophie der Effizienz regiert, ist die Beschäftigung mit menschlichen Schicksalen meistens effizienzhemmend. Wer in Zukunft also auf wirklich nachhaltige Weise Gehalts-Exzesse verhindern will, sollte Manager mit aller Macht an die grundgesetzlich verankerte Verantwortung des Eigentums für die Gemeinschaft fesseln. Man muss diesen Mentalitätswandel wohl per Gesetz dekretieren - weil er auf dem Wege der Einsicht nicht zu erreichen ist. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Wirtschaftskapitäne offensichtlich nicht bereit sind, diese Diskussion zu führen. Menschen wie Ex-Bundesbankchef Hans Tietmeyer geben sogar mittlerweile dem Staat die Hauptschuld an der Wirtschaftskrise.
Um es klar zu sagen: Unternehmensgewinne zu sozialisieren ist Unsinn - aber jeder Manager muss sich der Tatsache bewusst sein, dass er seine Entscheidungen nicht auf dem Mond fällt. Entlassungen, Werksschließungen und Standortverlagerungen haben Auswirkungen im Hier und Jetzt. Vielleicht ist ja auch ein Wirtschaftsleben ohne die Verpflichtung zum ewigen Wachstum denkbar? Was jedenfalls nicht sein kann: Dass die Bundesregierung sich immer wieder auf die Rolle des Scherbensammelkommandos zurückzieht, das nach der großen Konzernparty die Aufräumarbeiten erledigt.