Alkoholmissbrauch bei der Jugend Warum Jugendliche so viel trinken

  • von Martin Knobbe
Jugendliche sollen an Tankstellen in Deutschland künftig keinen Schnaps mehr kaufen können. Bislang bekommen sie an jeder Straßenecke Alkohol, die Spirituosenindustrie sponsort Castingshows und Fußballvereine. Darum muss man sich nicht wundern, dass sich am Trinkverhalten Jugendlicher so wenig ändert.

Nur ein Szenario: Marlboro ist einer der drei Hauptsponsoren der RTL-Teenie-Sendung "Deutschland sucht den Superstar". Ein Hersteller von Amphetaminen finanziert Nachwuchsbands den Auftritt vor großem Publikum. Und der FC Bayern, reich an jungen Fans, wirbt mit Joints auf seinen Trikots für das beste Gras der Republik. Was ginge für ein Aufschrei durchs Land? Was hätte man für Sorgen um die Jugend und ihre Verführung durch die Droge? Was würde man nicht alles fordern? Verbote, Strafen und ewige Verbannung. Heißt die Droge aber Alkohol, bleibt der Aufschrei aus.

Die kleine Sünde

Jahrelang sponserte die Brauerei Krombacher mit ihrem Mixgetränk Cab ("Cola and Beer") "Deutschland sucht den Superstar". Seit Jahren lädt Jägermeister Bands zur "Rock-Liga" ein, einem Wettbewerb für junge Musiker. Und Paulaner, eine der größten Brauereien des Landes, darf auf den Trikots des FC Bayern werben und die Spieler zur Meisterfeier aus einem großen Weißbierglas trinken lassen. Alles zur familienfreundlichen Sendezeit. Alles im besten Einvernehmen. Alkohol ist in unserer Wahrnehmung keine Droge wie Nikotin oder Marihuana. Er ist höchstens ein bisschen Droge. Die kleine Sünde, die man sich erlauben darf.

Kein Schnaps mehr an der Tankstelle

Jugendliche sollen an Tankstellen in Deutschland künftig keinen Schnaps mehr kaufen können. Bier und Wein soll wie vorgeschrieben bis 16 Jahre tabu sein. Die Verbände der Tankstellen und der Mineralölwirtschaft sagten eine bessere Einhaltung des Jugendschutzes zu. So sollten die Ausweise der Käufer bis zu einem geschätzten Alter von 25 Jahren kontrolliert werden. Künftig sollen die Kassen das Personal warnen, wenn Alkohol oder Zigaretten über den Ladentisch gehen sollen. Bis Ende 2009 soll dies bereits an jeder dritten Tankstelle geschehen.

Da helfen auch die alljährlichen Horrorzahlen der Suchtexperten nichts: Bei jedem vierten Todesfall von Männern zwischen 35 und 65 Jahren ist Alkohol die Ursache. 1,7 Millionen Deutsche sind alkoholabhängig. Ein Drittel aller Gewalttaten wird unter Alkoholeinfluss ausgeübt. Und das Saufen ins Koma ist für viele Jugendliche nach wie vor ein beliebter Zeitvertreib. Für manche auch der Einzige.

Es mag gute Gründe dafür geben, Alkohol anders zu sehen als die übrigen Rauschmittel: Die Tradition und Kultur, das Gesellige und Lustige daran, der Genuss und der wirtschaftliche Faktor. Auch die Einsicht, dass man eine Gesellschaft nicht völlig "clean" halten kann. Und vielleicht die Erkenntnis, dass zu einer normalen Jugend auch der gelegentliche Rausch gehört.

Vollrausch im Stimmbruch

Man darf sich dann nur nicht wundern, warum sich so wenig im Trinkverhalten junger Menschen ändert. Warum die Berichte nicht abreißen über Jugendliche, die eine Flasche Wodka um die Wette leer trinken und Zehnjährige, die mit einem Vollrausch ins Krankenhaus eingeliefert werden. Über illegale Flatrate-Partys und kotzende Jungs im Stimmbruch auf dem Münchner Oktoberfest.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Denn würde es die Politik ernst meinen mit ihrer gern verlautbarten Sorge um die Jugend, dann würde sie genauso handeln wie beim Tabak: mit harten Gesetzen und hohen Steuern, mit Werbeverboten und funktionierenden Alterskontrollen. Dann würde sie das Alter, ab dem man Bier trinken darf, auf 18 Jahre erhöhen und unter Androhung hoher Strafen ein Verfahren wie in den USA durchsetzen, in dem jeder seinen Ausweis in der Bar oder bei Bierkauf im Supermarkt vorzeigen muss.

Wissenschaftler haben längst herausgefunden, welche Maßnahmen wirken und welche nicht. Nach Angaben der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) bringen öffentliche Kampagnen gegen Alkoholmissbrauch, Aufklärungsunterricht an Schulen und freiwillige Selbstverpflichtungen der Alkoholindustrie kaum etwas.

Kleine Gruppe von Extremtrinkern

Effektiv seien dagegen gesetzliche Regelungen: etwa eine niedrige Promillegrenze im Straßenverkehr, sofortiger Führerscheinentzug oder staatliche Kontrollen beim Ausschank von Alkohol. Auch hohe Steuern haben nachweislich eine Wirkung auf den Absatz, wie die Einführung der Sondersteuer auf Alcopops gezeigt hat: Im Jahr 2004 tranken noch 28 Prozent der 12- bis 17-Jährigen mindestens einmal im Monat Alcopops, vier Jahre später waren es nur noch zehn Prozent. Doch vielleicht muss man den Weg, den die Politk beim Verkauf der Zigaretten gegangen ist, beim Alkohol gar nicht wiederholen. Denn neben vielen alarmierenden Zahlen erzählen die Statistiken auch Beruhigendes: Die meisten Jugendlichen konsumieren Alkohol kontrolliert und verantwortungsvoll. Der Anteil Minderjähriger, die regelmäßig Bier, Wein oder Spirituosen trinken, geht nach der neuesten Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sogar leicht zurück. Insgesamt, so zeigen es die Zahlen, trinken die Deutschen von Jahr zu Jahr weniger Alkohol.

Nur die Extremtrinker fallen auf. Vergleichweise klein an der Zahl, aber gigantisch im Konsum. 300.000 Jugendliche haben mindestens einmal in der Woche einen Vollrausch. Das so genannte binge-drinking, das hemmungslose In-Sich-Hinein-Schütten, mitunter bis zur Lebensgefahr, ist ein Phänomen der Moderne. Ähnliches kennt man aus dem Bereich der Jugendkriminalität: Insgesamt gehen die Delikte unter den Minderjährigen seit Jahren zurück. Nur die Schläger fallen auf. Vergleichsweise klein an der Zahl - aber brutal in der Ausführung. Die schweren Gewalttaten unter Jugendlichen nehmen zahlenmäßig zu. Auch das ist ein Phänomen der Moderne.

Viel wichtiger als allgemeine Regeln ist es deshalb, sich genau die Gruppe der Jugendlichen anzusehen, die derart aus dem Rahmen fällt. Man wird schnell Gemeinsamkeiten feststellen. Von ausgegrenzten und überforderten Jugendlichen, spricht der Jugendforscher Klaus Hurrelmann, von Jugendlichen, die oft keinen Schulabschluss haben. "Und genau hier, wo es um Gewalt und Alkohol und um die Perspektivlosigkeit geht, muss die Politik reagieren", sagte der Wissenschaftler in einem Interview. Er meinte keine neuen Gesetze oder keine höheren Steuern. Er meinte ganz gezielte Maßnahmen, etwa einen "garantierten Hauptschulabschluss" für alle.