Antisemitismus-Debatte Umstrittene Studie veröffentlicht

Nach einer umstrittenen, jetzt online publizierten Studie sind die antisemitischen Aktivitäten in den europäischen Staaten erheblich gestiegen. Gewalt und Vorurteile gehen danach zunehmend auch von arabischen Einwanderern aus.

Nach einer umstrittenen und bisher unter Verschluss gehaltenen Studie über Antisemitismus ist der Judenhass in den EU-Staaten auf dem Vormarsch. Gewalt und Vorurteile gingen zunehmend auch von arabischen Einwanderern aus, heißt es in der am Mittwoch im Internet veröffentlichten Untersuchung. Juden und jüdische Einrichtungen würden in Deutschland und anderen europäischen Staaten vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts auch von jungen Muslimen und radikal-islamischen Gruppen angegriffen.

Neben dem dänischen Sender TV2 und der Kopenhagener Zeitung "Politiken" hatten der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit sowie der Dachverband jüdischer Organisationen in Frankreich (Crif) die Studie in das Internet gestellt. Die Wissenschaftler Juliane Wetzel und Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität (TU) Berlin hatten die Studie im Auftrag der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Wien verfasst.

Antisemitismus-Studie im Internet

Die Studie ist auf der Homepage von Daniel-Cohn-Bendit als PDF-File herunterzuladen.

Erhebliche Steigerung antisemitischer Aktivitäten in Europa

Im Zentrum der Untersuchung zu "Manifestationen von Antisemitismus in der Europäischen Union" steht die Sammlung von Informationen über antisemitische Äußerungen, Vorfälle, Ausschreitungen oder andere Ereignisse zwischen dem 15. Mai und dem 15. Juni 2002. Für zahlreiche EU-Länder, darunter auch Deutschland, stellten die Autoren dabei eine erhebliche Steigerung antisemitischer Aktivitäten gegenüber dem Jahr 2000 fest.

Antiisraelische Kritik zunehmend antisemitisch motiviert

Zu den Hintergründen für diese Tendenz heißt es im Text unter anderem: "Antisemitische Vorfälle im Untersuchungszeitraum wurden vor allem entweder von Rechtsextremisten oder radikalen Islamisten oder jungen Muslimen überwiegend arabischer Herkunft begangen, die ihrerseits oft potenzielle Opfer von Ausgrenzung und Rassismus sind." Zur Kritik an der israelischen Politik in den besetzten palästinensischen Gebieten meinen die Autoren, sie mobilisiere "latent antisemitische Haltungen", die es in einigen europäischen Ländern bei einem "großen Prozentsatz" der Bevölkerung gebe.

Auch in Deutschland, so heißt es in der Studie, mische sich eine subtile Form von Antisemitismus zunehmend in die Kritik am Staat Israel. Als Beispiel wird die Israel-Kritik des gestorbenen FDP- Politikers Jürgen Möllemann genannt. Mit der Verschärfung des Nahost- Konflikts hätten auch in Deutschland antiisraelische Demonstrationen zugenommen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Internet wichtigstes Medium der Verbreitung

Als wichtiges Medium zur Ausbreitung antisemitischer Haltungen benennen die Autoren der Studie das Internet, bei dem eine "rapide wachsende" und zunehmende Verknüpfung rechtsradikaler Inhalte mit denen radikaler Islamisten zu beobachten sei. "Bis jetzt haben staatliche Organe der Ausbreitung antisemitischer Propaganda über Europa in Arabisch durch Zeitungen, Audiokassetten oder das Internet zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt."

Wiener Auftraggeber verweigerte Veröffentlichung

Die Wiener Stelle hatte eine Veröffentlichung abgesagt, weil nach ihrer Darstellung der untersuchte Zeitraum zu kurz gewesen und ergänzende Arbeiten notwendig seien. In der Debatte um diese Entscheidung warfen Kritiker der EUMC vor, wegen des Vorwurfs massiv antisemitischer Einstellungen unter arabischen Zuwanderern die Veröffentlichung verhindert zu haben.

Autor weist Kritik an wissenschaftlicher Qualität zurück

Bergmann wies die Kritik der Auftraggeber zurück. Die Erkenntnis, dass unter arabischen Einwanderern, die selbst Opfer von Vorurteilen sind, zunehmend Juden-Feindlichkeit existiert, beruhe auf gesicherten Daten und dürfe nicht verschwiegen werden, sagte er der dpa. «Wir können eine Minderheit nicht auf Kosten einer anderen in Schutz nehmen», betonte der Wissenschaftler.

Im Zusammenhang mit dem Streit um die Studie sperrte das Europäische Parlament Gelder für die EUMC. Das teilte der CDU- Europaabgeordnete Armin Laschet der dpa mit. Es gehe um eine Summe von 200 000 Euro für das Wiener Institut. Laschet sagte, die «Vermischung von Politik und Wissenschaft» müsse geklärt werden.

DPA