Arbeitslose Revanche von unten

Jeder dritte Hartz-IV-Empfänger will seine Stimme der Linkspartei geben. Viele Arbeitslose fühlen sich von Rot-Grün "gefordert, aber nicht gefördert".

Es sollte die größte Arbeitsmarktreform in Deutschland werden: Hartz IV. Die Zahl der Arbeitslosen könne innerhalb von drei Jahren halbiert werden, versprach Bundeskanzler Schröder bei der Verkündung der Hartz-Gesetze 2002, und Wirtschaftsminister Clement versicherte, dass Arbeitslose künftig nicht nur gefordert, sondern auch gefördert würden.

Bis heute ist es allerdings beim Fordern geblieben. Das heißt: Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, bekommt seit Anfang 2005 nur noch 345 Euro Arbeitslosengeld II pro Monat plus die Miete für "angemessenen Wohnraum". Neue Arbeitsplätze sind dagegen so rar wie vor der Reform. Bevor Hartz IV in Kraft trat, besuchte der stern im vergangenen Jahr fünf Arbeitslose.

Carola Vollmar, eine von ihnen, fand vor kurzem ohne Vermittlung der Arbeitsagentur eine neue Stelle als Abteilungsleiterin in einem Zentrallager. Susanne Voit gründete zwischenzeitlich eine Ich-AG als Stylistin. Die drei anderen, Martin Hartmann und Brigitte und Klaus-Dieter Walitzki, sind immer noch arbeitslos. Keiner der fünf, für die die Arbeitsmarktreform eigentlich gedacht war, wählt bei der Bundestagswahl SPD. Zwei wählen die neue Linkspartei.

Das Meinungsforschungsinstitut

Forsa hat für den stern Hartz-IV-Empfänger gefragt, wen sie wählen werden. Bei jenen, die zur Wahl gehen wollen, liegt demnach die Linkspartei mit 33 Prozent (im Osten sogar 48 Prozent) weit vorn. Martin Hartmann, 55, arbeitsloser Elektriker in Baden-Württemberg, hofft, dass alle Arbeitslosen diesmal die Linkspartei wählen. "Die wollen als Einzige Hartz abschaffen, das ist für mich das Entscheidende." Bei der letzten Wahl gab er den rechtsradikalen Republikanern seine Stimme. Diesmal hofft er, dass die Linkspartei so stark wird, dass die neue Regierung sie nicht übergehen kann.

Carola Vollmar, 45, ist nun zwar nicht mehr arbeitslos, doch die Hartz-Reform regt sie weiterhin so auf, dass sie ebenfalls die Linkspartei wählen will. Bis 2003 war Frau Vollmar SPD-Mitglied, dann trat sie aus der Partei aus, "weil die SPD das Wort sozial nicht mehr zu Recht trägt".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Was sie an Hartz IV stört, sei die Respektlosigkeit, mit der Arbeitslose behandelt würden. "Eigentlich wollte man ja diejenigen treffen, die vor sich hinlottern. Bestraft hat man aber uns alle, die jahrelang gearbeitet haben." Carola Vollmar sagt, sie wolle ja gar nicht, dass die Linkspartei wirklich an die Regierung komme. "Aber die großen Parteien sind so arrogant, dass ich denen mal einen Denkzettel gönne." Und was wäre, wenn es die Linkspartei nicht gäbe? "Dann hätte ich meinen Stimmzettel genommen und alles durchgestrichen."

Brigitte Walitzki, 50, lebt in Ostdeutschland. Im Februar dieses Jahres wurde sie in einen Ein-Euro-Job eingewiesen, den sie als "reine Schikane" empfindet: Zäune im Wald beseitigen. Zu DDR-Zeiten arbeitete Frau Walitzki wie ihr Mann Klaus-Dieter in der örtlichen Pelztierzucht. Doch die Fabrik wurde nach der Wende geschlossen, und seither fanden die Walitzkis keinen richtigen Job mehr. Seit Hartz IV bekommen sie zusammen nur noch 758 Euro Arbeitslosenunterstützung statt 1013 Euro wie früher.

Zur Bundestagswahl 2002

sind die Walitzkis nicht wählen gegangen. Diesmal werden sie CDU wählen. Am liebsten sähen sie eine schwarz-gelbe Koalition, nicht weil sie annehmen, dass es Hartz-Empfängern danach besser ginge, sondern weil sie hoffen, dass eine CDU/FDP-Regierung "wenigstens ein bisschen für Arbeit sorgt". Denn das sei der wichtigste Punkt. "Wir wollen ja gar nichts geschenkt", sagt Frau Walitzki, "wir möchten unser Geld ehrlich verdienen."

Die Ich-AGlerin Susanne Voit wird (wie nur fünf Prozent aller Hartz-IV-Empfänger) die Grünen wählen, weil für sie "ethische Gesichtspunkte" ausschlaggebend seien, nicht die Arbeitsmarktpolitik. "Mir sind zwei Dinge wichtig", sagt die 39-Jährige, die Positionen zum "Krieg und zur Atomkraft", und in beiden Punkten vertraut sie immer noch auf die Grünen. Ihre Lieblingskoalition wäre allerdings nicht Rot-Grün, sondern Schwarz-Grün: "Das wäre mal ein bisschen Aufbruch."

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Markus Grill