Arbeitsmarktreform Kritiker fordern Nachbesserungen

Führende Gewerkschafter beharren auf Änderungen an der Arbeitsmarktreform - trotz der Absage des Bundeskanzlers. Vor einer Verarmung von Kindern durch Hartz IV warnt unterdessen der Deutsche Kinderschutzbund.

Die Ankündigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), die geplanten Arbeitsmarktreformen trotz vieler Proteste nicht mehr zu verändern, hat neuerliche Kritik und Nachbesserungsforderungen ausgelöst. "An Hartz IV gibt es nach wie vor Korrekturbedarf - auch wenn der Kanzler basta sagt", erklärte Vorstandsmitglied der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Isolde Kunkel-Weber, der "Berliner Zeitung" vom Donnerstag. Kunkel-Weber, die der Vorbereitungskommission für die Hartz-Gesetze angehörte, sagte weiter: "Wir haben öffentliche Investitionen, angemessene Wirtschaftsförderung und Stabilisierung der Kommunen gefordert, um Arbeitsplätze zu schaffen. Davon ist wenig zu spüren."

Der Vorsitzende der Gewerkschaft IG BCE, Hubertus Schmoldt, schrieb dem SPD-Chef Franz Müntefering nach dem Bericht: "Ich kann nicht erkennen, warum weitere Änderungen ausgeschlossen sein sollten." Die Reformpolitik Agenda 2010 sei sozial nicht ausgewogen.

Engelen-Kefer für Änderungen an Hartz IV

Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Ursula Engelen-Kefer, hat sich für weitere Änderungen an der Arbeitsmarktreform Hartz IV ausgesprochen. "Politik ist das Bohren dicker Bretter, und wir haben die Interessen unserer Mitglieder zu vertreten, und da werden wir auch nicht nachlassen", sagte Engelen-Kefer am Donnerstag im Bayerischen Rundfunk. Dies betreffe vor allem die Frage der Zumutbarkeit, die Höhe der Arbeitslosengeld-2-Leistungen oder die Regelungen zur Altersvorsorge.

Zu den Montagsdemonstrationen sagte Engelen-Kefer: "Die Politik wäre gut beraten, wenn sie die berechtigten Sorgen der Menschen ernst nehmen würde, die sich bei diesen Demonstrationen ausdrücken. Ich kann nur hoffen, dass hier nicht einfach darüber hinweg gegangen wird." Zugleich kritisierte sie die von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) geplante Schaffung von bis zu 600 000 so genannter Ein-Euro-Jobs. "Es gibt verschiedene Formen öffentlich geförderter Beschäftigung, die bei weitem sinnvoller sind als diese Ein- oder Zwei-Euro-Jobs", sagte die DGB-Vize. "Die Menschen einfach nur irgendwohin zu schieben, ist falsch."

"Kinder in Not"

Im ZDF kritisierte der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, den Wegfall von einmaligen Beihilfen für die Bezieher des künftiges Arbeitslosengeldes II, das die derzeitige Sozial- und Arbeitslosenhilfe ersetzen soll: "Dadurch können einige Kinder in Not geraten. Da muss ein Ausweg her." Nach seinen Angaben wird die Zahl der Kinder, die von der Sozialhilfe leben müssen, durch Hartz IV auf 1,5 Millionen ansteigen. Diese Kinder hätten kaum Bildungschancen und ein erhöhtes Gesundheitsrisiko.

Schröder hatte in seine ersten Pressekonferenz nach der Sommerpause am Mittwoch angekündigt, die Arbeitsmarktreform Hartz IV ohne Abstriche umzusetzen. Besonders die Wirtschaft forderte der Kanzler auf, in gemeinsamer Verantwortung für das Land die Arbeitsmarktreform der Regierung zu unterstützen. Die Ängste vieler Demonstranten wegen der Reform nannte Schröder nachvollziehbar, aber weitgehend unbegründet.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Stigmatisierung von Arbeitslosen befürchtet

Die geplanten Ein-Euro-Jobs verschlechtern nach Expertenmeinung die Eingliederungschancen von Arbeitslosen. Die Betroffenen würden stigmatisiert und reduzierten schon im Vorfeld der Maßnahmen ihre Bemühungen um einen regulären Job, sagte der Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft, Holger Schäfer, der "Berliner Zeitung".

Mit den Ein-Euro-Jobs könnten Arbeitslose zudem leicht ein Gesamteinkommen von 800 bis 900 Euro erzielen. Das seien Einkommensbereiche, die besonders in Ostdeutschland nur mit einem qualifizierten Job erreicht werden könnten, sagte Schäfer. Die Ein-Euro-Jobs würden daher in Konkurrenz zum echten Arbeitsmarkt treten. Insgesamt habe er große Zweifel am Sinn der Maßnahme, sagte er.

Der thüringische DGB-Vorsitzende Frank Spieth sagte, mit den Ein-Euro-Jobs werde der Reichsarbeitsdienst wieder eingeführt. Ein Taschengeld von ein bis zwei Euro beeinträchtige das Selbstwertgefühl der Betroffenen massiv - solche Maßnahmen begründeten den Zorn, der sich in den Montagsdemonstrationen entlade. "Es wäre sinnvoller, die Menschen mit ABM zu beschäftigen, die Kosten für die Gesellschaft wären dann auch nicht höher", sagte Spieth.

DPA · Reuters
DPA/Reuters