Bayerns SPD Viel Geschichte und ein wenig Hoffnung

Von Tobias Lill, München
Die CSU steckt in der Krise und im Umfragetief, doch Bayerns Sozialdemokraten können daraus kein Kapital schlagen. So wurde der Landesparteitag in München von der Historie geprägt - und von der Hoffnung.

Natürlich kennt Ludwig Hoegner sie genau: die Geschichten von der guten "alten Zeit" – damals, als die Sozialdemokratie in Bayern noch mehrheitsfähig war. 1954, als Wilhelm Hoegner mit einem Überraschungscoup zum Missfallen der CSU mit einer Vierer-Koalition den Posten des Ministerpräsidenten eroberte. "Ich habe die Tagebücher meines Urgroßvaters gelesen", sagt der 28-jährige Nachwuchspolitiker und fügt hinzu: "Unsere Partei hat viele große, aber auch tragische Momente erlebt." Etwa am 29. April 1933, als die sozialdemokratischen Abgeordneten mit blutverschmierten Hemden als einzige Partei gegen das bayerische Ermächtigungsgesetz stimmten.

Es sind solche heroischen Berichte aus vergangenen Zeiten, mit denen sich die SPD-Basis in diesen Tagen, angesichts katastrophaler Umfragewerte, ihre Wunden leckt. Das ist auch auf dem Parteitag der bayerischen Sozialdemokraten in der Alten Kongresshalle unweit der Münchner Theresienwiese nicht anders. "Wir wissen, dass der Wechsel möglich ist, weil wir ihn schon einmal geschafft haben", sagt Hoegner-Urenkel Ludwig, der als Delegierter die Münchner SPD vertritt.

Und auch Franz Maget, der später mit 98,4-Prozent der Stimmen zum neuen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl nominiert wird, verweist in seiner Rede erst einmal auf die Erfolge der Sozialdemokratie in ferner Vergangenheit. Schließlich sei es die SPD gewesen, die mit dem ersten Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner die Verfassung des Freistaates geprägt habe.

Nach 50 Jahren Alleinregierung brauche Bayern eine "neue Perspektive". "Mehr soziale Gerechtigkeit, Anstand und Fairness für sozial Schwächere", fordert Maget unter tosendem Beifall der 247 Delegierten. Er gerät in Fahrt: "Es ist eine Schweinerei, wenn Leute 40 Stunden arbeiten und danach zum Sozialbürgerhaus gehen müssen, weil sie von ihren Löhnen nicht leben können", poltert der 54-Jährige, der seit acht Jahren die SPD-Landtagsfraktion anführt. Maget ist in Bestform, gibt alles. "Ja, es geht. Es kann gelingen, die politischen Verhältnisse in Bayern zu ändern", ruft er. Das habe man in vielen Kommunen im Freistaat gezeigt und auch in Rheinland-Pfalz, das einst als CDU-Hochburg galt.

Minutenlanger Applaus und Jubel zum Schluss. Die Menschen im Saal glauben daran. Doch, so sehr es sich viele Sozialdemokraten auch wünschen: Franz Maget wird wohl kein zweiter Wilhelm Hoegner werden. Und das, obwohl die Rahmenbedingungen für einen Machtwechsel im Freistaat so gut sind, wie lange nicht mehr: Der Skandal um die Milliardenlöcher bei der Bayerischen Landesbank, die Transrapid-Pleite und nicht zuletzt das Fiasko beim Rauchverbot lassen den Elfenbeinturm Staatskanzlei wackeln.

"Die Leute haben den Absolutismus der CSU satt", sagt der bayerische Juso-Chef Thomas Asböck, der an diesem Tag bereits weitab von München in einem Festzelt Stimmung gegen die Staatsregierung macht. Tatsächlich liegt die CSU in den Umfragen seit Wochen konstant unter 50 Prozent. Würde es auch im September dabei bleiben, droht die Partei mit dem Regierungsabo ihr schlechtestes Ergebnis seit Jahrzehnten einzufahren. Seit 1966 blieben die Christsozialen bei einer Landtagswahl nicht mehr unter der 50-Prozenthürde.

Doch es ist nicht die SPD, die davon profitiert. Von den 30 Prozent, die Renate Schmidt noch Mitte der 90er Jahre holte, ist sie mittlerweile meilenweit entfernt. Nur jeder fünfte bayerische Wähler im Freistaat würde derzeit die Sozialdemokraten wählen – das sind so wenige wie 2003, als die CSU im Schatten von Stoibers Kanzlerkandidatur die 60-Prozentmarke knackte. Stattdessen könnten laut den Demoskopen erstmals FDP, Freie Wähler und Linkspartei in den Landtag einziehen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Da die FDP einer Vierer-Koalition mit SPD, Grünen und Freien Wählern derzeit wenig abgewinnen kann, scheint ein SPD-Ministerpräsident – auch wenn die Linke an der Fünfprozenthürde scheitert – ausgeschlossen. Hauptursache ist nach der Ansicht vieler Genossen der Zickzackkurs der Berliner Zentrale gegenüber der Linkspartei. "Die Leute sprechen uns bei den Infoständen vor allem auf den Umgang mit der Linken an", sagt auch Asböck. Auch Maget konstatierte vor einigen Tagen "nicht unbedingt der große Rückenwind von unserer geliebten Bundespartei".

Der Frust über die Bundes-SPD zeigt sich auch im Mitgliederschwund. Im Mai 2006 hatte sie 75.474, zwei Jahre später nur noch 72.083 Mitglieder. Abgesehen von den Städten ist die SPD zu schwach bei den Menschen verankert. "Es ist ein Teufelskreis. Je weniger Mitglieder wir haben, desto weniger können wir in den Vereinen vor Ort präsent sein", sagt Ludwig Hoegner.

Doch nicht nur die mangelnde Verankerung in weiten Teilen des Freistaats macht der Bayern-SPD Probleme. Auch Franz Maget scheint manchem nicht als die Optimalbesetzung. Er gilt als kompetent und auch sympathisch. "Ein netter Typ", sagt ein Delegierter. Doch die Führungskraft und das Durchsetzungsvermögen, das der Ministerpräsident einer Vierer-Koalition braucht, trauen ihm manche nicht zu. "Nett ist auch Nachbars Hundi", spottet einer.

Talente selten wie Braunbären

Auch in der eigenen Partei ist der Rückhalt nicht grenzenlos. "Wenn Maget wieder unter 20 Prozent fällt, dürfte er als Fraktionschef wohl kaum noch zu halten sein", heißt es aus dem Führungskreis der bayerischen Sozialdemokraten. Doch wer könnte nachfolgen? Christian Ude und Ulrich Maly, die in München und Nürnberg als Bürgermeister residieren, winken ab. Und Nachwuchstalente der SPD werden im Alpenvorland beinahe so selten gesichtet wie Braunbären.