Buchvorstellung Münteferings Politik-Bibel

  • von Sebastian Christ
Er hat das Amt des SPD-Chefs mit dem des Papstes verglichen. Folgerichtig bringt der alte und designierte neue SPD-Vorsitzende Franz Müntefering nun eine Art Politik-Bibel unters Volk. Am Mittwoch hat er das Werk in Berlin vorgestellt - und ging dabei auch die Finanzkrise frontal an.

Franz Müntefering war auch schon mal lauter. Im Bayern-Wahlkampf beschimpfte er das CSU-Spitzenduo Beckstein/Huber als "Waschlappen" und forderte von seinen Genossen "heißes Herz und klare Kante". Ein "cooler Hund", dachten sich damals viele. Doch das Dröhnen aus Wahlkampftagen ist Vergangenheit, wenigstens für ein paar Monate. Dafür ist es umso bemerkenswerter, was Müntefering zu sagen hat, wenn er mal leiser spricht.

"Macht Politik!"

Am Mittwochnachmittag stellte er in Berlin sein Buch "Macht Politik!" vor, das er zusammen mit der Journalistin Tissy Bruns geschrieben hat. Genau genommen ist es ein langes Interview, das da zwischen die Buchdeckel gedruckt wurde. "Ich habe eine Neigung dazu, Dinge besser sprechen als schreiben zu können", sagt der designierte SPD-Chef. Und was er da sagt, zeigt deutlich die neue Rolle, die er nach seiner Politikpause einnehmen will. Ein Kämpfer, aber kein Kettenhund. Eher Staatsmann als Parteisoldat. Müntefering sorgt sich um das Ganze: um das Land, die Demokratie, den sozialen Frieden. Und natürlich auch um die SPD. Dabei bleibt er erstaunlich gelassen und wirkt phasenweise wie eine angenehm auffallende Antithese zum hektischen Betrieb in der Berliner Republik. Er will eine Diskussion anstoßen, ohne die anderen vor sich herzutreiben.

"Wie mutig muss Politik sein, zu sagen: Wir brauchen mal Zeit?", fragt er. Die Auslöser der Fotokameras vor ihm klicken im Millisekundentakt. Mehr als hundert Journalisten waren gekommen, um seinen Auftritt mitzuverfolgen. Müntefering redet in ungewohnt langen, nachdenklichen Sätzen, die programmatisch wirken.

SPD-Parteivorsitz war ein Fehler

Für die Freunde der schnellen Nachricht gab es selbstverständlich auch Neuigkeiten: Nicht sein Rücktritt vom Parteivorsitz im Jahr 2005 sei ein Fehler gewesen, sondern schon eher die Tatsache, dass er überhaupt erst den höchsten SPD-Posten übernommen habe. "Ich wusste: Wenn ich das Amt annehme, falle ich ein Stück weit als Bollwerk für Gerhard Schröder aus", erklärt er im Rückblick. Wie diese Äußerung mit dem berühmten Müntefering-Zitat zusammenpasst, das das Amt des SPD-Chefs das schönste sei neben dem des Papstes, das erläuterte Müntefering nicht. Für die Bundestagswahl sehe er drei Koalitionsvarianten als wahrscheinlich an: "Ampel, Jamaika oder die Große Koalition", so Müntefering. "Wobei ich dazu sagen muss, dass Jamaika eine Viererkoalition ist", fügt er an. Ein Seitenhieb auf die CSU.

Interessanter war jedoch, wie Müntefering versuchte, sozialdemokratische Politik auf die aktuellen Probleme in der Finanzwelt anzuwenden. Weder Kurt Beck noch den ehemaligen SPD-Chef Matthias Platzeck hatte man derart ausgeruht über die Weltlage diskutieren hören. Eigentlich war das immer der Job von Helmut Schmidt. Der neue Münte kann das auch: "Als ich angefangen hatte über Heuschrecken zu reden, habe ich das nicht als Finanzmarktexperte getan, sondern weil ich Sorgen um die Demokratie hatte", so der Sauerländer. "Schaffen wir es, das Primat der Politik zu erhalten und Regeln zu machen, die verhindern, dass Geld die Welt beliebig regiert? Ich habe eine Sorge: Wenn wir den Menschen sagen, dass wir das als Politiker so hinnehmen müssen, werden sie fragen, wozu wir überhaupt eine Demokratie brauchen."

Der "New Deal"

Das könnte man ihm als pure Kapitalismuskritik auslegen. Ähnlich, wenn auch schärfer, hatte es Ottmar Schreiner in seinem Buch "Die Gerechtigkeitslücke" ausgedrückt. Aber Münteferings Ansatz ist vielschichtig. Als Lösung bietet er eine Art persönlichen "New Deal" an. "Wir müssen auch in Zukunft wollen, dass es in der Wirtschaft erfolgreiche Unternehmen gibt, die Gewinne machen", sagt er. Die Sozialdemokraten müssten aber gleichzeitig wieder die Meinungsführerschaft darüber gewinnen, was "gute Arbeit" ausmacht. Und er will trotz aller negativen Begleitumstände dafür kämpfen, dass es bald wieder Vollbeschäftigung gibt. Egal, was die anderen sagen. Das klingt vielleicht stur und ziemlich unrealistisch, und das ist es wahrscheinlich auch, aber es hat etwas mit seinem Grundwerteverständnis zu tun.

Es geht um Vertrauen. Ein ehemals altmodisches Wort, das von vielen Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft missbraucht und entstellt wurde. Menschen müssen glauben können, dass Politiker für ihr Wohl arbeiten. Staatliche Solidarität als ur-sozialdemokratische Lebensaufgabe.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wenn Müntefering genau das erreichen will, hat er eine Menge Arbeit vor sich.