Vorwurf: Das politische System neige zu Blockaden
Nach der umstrittenen Abstimmung im Bundesrat über das Zuwanderungsgesetz werden jetzt Forderungen nach einer Reform des föderalen System laut. Zugleich setzten Union und SPD ihre gegenseitigen Schuldzuweisungen fort.
Führende deutsche Wirtschaftsvertreter kritisierten, das politische System neige zu Blockaden und verschleppe Entscheidungen. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, sagte der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (Dienstag), wie das Zuwanderungsgesetz zu Stande gekommen sei, werfe »kein gutes Licht auf den Föderalismus«. Er sei »wenig effizient und damit zum Nachteil unseres Staates«.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, beklagte Politikblockaden im Bundesrat. Über die Verteilung der Verantwortung zwischen Bundestag und Bundesrat müsse neu gesprochen werden. Verfahrensweisen müssten klarer geregelt werden, um »hochnotpeinliche« Situationen wie am vorigen Freitag zu vermeiden. Der Bundesrat solle nur mit Gesetzen beschäftigt werden, »in denen es wirklich um länderspezifische Themen geht«, sagte Wansleben.
Stoiber: »Unhaltbares Vorgehen« der SPD
Im Streit um die Rechtmäßigkeit der Bundesratsentscheidung für das Zuwanderungsgesetz wies der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) Vorwürfe der SPD-Spitze zurück, die Union setzte Bundespräsident Johannes Rau unter Druck. Vielmehr seien es Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) gewesen, die Rau mit ihrem »unhaltbaren Vorgehen« in die »schwierige Situation« gebracht hätten.
Wowereit hatte im Bundesrat das Votum Brandenburgs auf Nachfrage bei Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) als Zustimmung gewertet, obwohl Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) zuvor Nein gerufen hatte. Bundespräsident Rau kann das Zuwanderungsgesetz nun ausfertigen oder dies ablehnen.
Der Regierende Berliner Bürgermeister Wowereit räumte ein, dass das Gesetz bei einer anderen Präsidentschaft im Bundesrat gescheitert wäre. »Dann wäre das natürlich in eine andere Richtung gelaufen und die Sache abgelehnt worden«, bemerkte er am Montag in der n-tv- Sendung »Maischberger«. Er habe ein einheitliches Votum Brandenburgs gewollt. »Deshalb habe ich mehrmals nachgefragt. Dass ist auch meine Aufgabe«, sagte Wowereit.
Biedenkopf: »Das war kein Theater«
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) wies den Vorwurf zurück, die Union habe ihre Empörung bei der Bundesratsabstimmung einstudiert. Biedenkopf sagte am Montag in der Sendung »MDR Aktuell«: »Das war kein Theater, bei allem Respekt vor Interpretationsversuchen, die Aufregungen von einigen Kollegen waren möglicherweise etwas zu groß, aber da war nichts einstudiert.« Biedenkopf räumte allerdings ein, dass die Union »ungefähr aus den Pressemitteilungen und aus den Äußerungen von Herrn Wowereit« gewusst habe, was auf sie zukommt. Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hatte am Sonntag gesagt, die laute Empörung der Unionsseite nach der Abstimmung sei nicht spontan, sondern verabredet gewesen sei.