Bundestagswahl Das Rennen ist wieder offen

Gut eine Woche vor der Bundestagswahl ist der Ausgang wieder offen. Union und FDP büßten in den letzten Umfragen ihre zuvor über Monate behauptete Mehrheit ein. Die SPD wittert dagegen Morgenluft.

Die Stimmung habe sich in den vergangenen Tagen spürbar gebessert, gab sich Bundeskanzler Gerhard Schröder siegesgewiss. Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel reagierte gelassen auf die Umfragen. Eine Wahl werde immer erst am Wahltag entscheiden, erklärte sie. Der stellvertretende CDU-Chef Christoph Böhr dagegen räumte ein, möglicherweise gebe es in der Bevölkerung keine klare Mehrheit für den Kurs, für den Schwarz-Gelb stehe. Sowohl SPD als auch Union kündigten an, die Attacken auf den Gegner in den letzten Tagen des Wahlkampfes noch einmal verstärken zu wollen. Die SPD will sich dabei vor allem auf den Finanzexperten im Wahlkampfteam der Union, Paul Kirchhof, konzentrieren.

Union und FDP verlieren ihre Mehrheit

Im ZDF-Politbarometer vom Freitag sackte die Union um zwei Punkte auf 41 Prozent ab, ihr erklärter Wunsch-Koalitionspartner FDP bleibt wie in der Vorwoche bei sieben Prozent. Damit hätte eine schwarz-gelbe Koalition mit 48 Prozent nicht mehr die nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen für eine parlamentarische Mehrheit nötigen 48,5 Prozent. Nur eine große Koalition oder ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei wäre mehrheitsfähig. Auch im ARD-Deutschlandtrend und in der jüngsten Forsa-Umfrage hatten Union und FDP nach dem Fernsehduell zwischen Schröder und Merkel ihre Mehrheit verloren.

Wie in den anderen Umfragen legte die SPD auch im Politbarometer nach dem TV-Duell weiter deutlich zu und erzielt 34 Prozent (plus zwei Punkte). Das ist das beste SPD-Ergebnis in einem Politbarometer in diesem Jahr. Die Grünen verharrten bei sieben Prozent. Die Linkspartei blieb mit unverändert acht Prozent drittstärkste Partei. Nach Erkenntnissen der Meinungsforscher war neben dem TV-Duell, das Schröder für sich entscheiden konnte, auch die Debatte um Kirchhof entscheidend für die Einbrüche bei der Union und im Gegenzug die Zugewinne der SPD.

Auch Allensbach sieht SPDim Aufwind

Die SPD hat auch nach der jüngsten Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach in der Wählergunst sprunghaft zugenommen. Die Partei von Bundeskanzler Gerhard Schröder steigert sich im Vergleich zu Ende August um 3,1 Punkte auf 32,7 Prozent. CDU und CSU fielen leicht von 41,7 auf 41,5 Prozent. Zugleich ging die Zustimmung zu Grünen und Linkspartei um jeweils gut 1 Prozentpunkt auf jetzt 7,2 beziehungsweise 8,9 Prozent zurück. Die FDP verlor gleichfalls 1 Punkt auf 7,0 Prozent. Das schwarz-gelbe Lager kommt damit derzeit auf 48,5 Prozent - SPD, Grüne und Linkspartei sind mit 48,8 Prozent derzeit gemeinsam stärker, ergab die Allensbach-Umfrage.

Schröder spürt Rückenwind

Die SPD habe viel Rückenwind bekommen, sagte Schröder der "Sächsischen Zeitung". Er wolle, dass die SPD stärkste Partei werde und er seine Regierungsarbeit fortsetzen könne. "Dafür haben wir beste Chancen", bekräftigte der Kanzler. Ob die Linkspartei überhaupt in den Bundestag einziehen werde, sei noch nicht entschieden. "Ob die da reinkommen, ist eine offene Frage", sagte Schröder dem NDR. Auf die Frage nach einer Ampelkoalition von Rot-Grün mit der FDP wie nach anderen Optionen erklärte er: "Ich will mich nicht auf solche Debatten einlassen."

Merkel erklärte trotz sinkender Umfragewerte, sie sei sehr optimistisch. "Wahlen sind immer erst am Wahltag um 18 Uhr entschieden, daher heißt es - auch in Demut vor dem Wähler - bis zum Schluss um jede Stimme zu werben", sagte sie der "Rheinischen Post". Wesentlich skeptischer äußerte sich ihr Stellvertreter Böhr. Seiner Einschätzung nach herrsche in der Bevölkerung ein flaues Magengefühl nach dem Motto: "Wer weiß, welche Medizin uns die Union verabreichen will". Es werde sehr schwer, dieses Grundgefühl bis zur Wahl noch zu drehen, sagte Böhr dem "Handelsblatt".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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FDP-Chef Guido Westerwelle dagegen äußerte sich überzeugt, dass es zum Regierungswechsel kommen wird. "Ich kenne das, es ist ja nicht mein erster Wahlkampf", sagte er dem Fernsehsender RTL. Er sei immer darauf eingestellt gewesen, dass es knapp werde.

Die SPD kündigte unterdessen an, sie wolle in der letzten Woche bis zur Wahl die Angriffe auf den Unions-Finanzexperten Kirchhof verstärken. Wahlkampfmanager Kajo Wasserhövel stellte eine Serie von Plakaten und Handzetteln vor, die Titel tragen wie: "Merkel/Kirchhof: Radikal unsozial!" und "Radikal Unsozial: Kopfpauschale, Kirchhof-Steuer, Mehrwertsteuer." CDU-Generalsekretär Volker Kauder warf der SPD und Bundeskanzler Schröder eine Lügenkampagne mit Zeitungsanzeigen vor. Am Wochenende wolle sich die CDU dagegen mit einer Flugblattaktion wehren. Für Montag kündigte Kauder die Vorstellung einer lange vorbereiteten Schlusskampagne an.

Kirchhof steht für große Koalition nicht zur Verfügung

Unions-Finanzexperte Paul Kirchhof steht im Falle einer großen Koalition mit der SPD nach der Bundestagswahl nicht als Minister zur Verfügung. "Meine Chance, mein Platz wäre in einer schwarz-gelben, nicht in einer großen Koalition" sagte Kirchhof bei einem Gespräch mit Unternehmern in Jena. Er kämpfe für einen Wahlsieg von CDU/CSU und FDP. Nur in einer solchen Konstellation sei es möglich, die notwendigen Vereinfachungen des Steuersystems durchzusetzen.

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Reuters/DPA