Bundesverfassungsgericht Rasterfahndung war verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat die Rasterfahndung eingeschränkt. Eine umfassende Datenerhebung ist nur noch zulässig, wenn eine konkrete Gefahr für Leib und Leben oder den Bestand des Staates droht.

Die bundesweite Rasterfahndung nach so genannten Schläfern in der Zeit nach dem 11. September 2001 war verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Nach seinem Beschluss ist eine solche massenhafte Datenermittlung nur bei einer konkreten Gefahr für hochrangige Rechtsgüter erlaubt. Eine "allgemeine Bedrohungslage", wie sie nach den Terroranschlägen in den USA bestanden habe, reiche dagegen nicht aus. Damit gab das Gericht einem marokkanischen Ex-Studenten aus Nordrhein-Westfalen Recht. Der Student hatte sich gegen die bundesweit koordinierte Rasterfahndung nach dem 11. September 2001 gewehrt, mit der radikale Islamisten und so genannte Schläfer aufgespürt werden sollten. Der Kläger sei in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, stellte das Gericht fest. Zwei der acht Richter stimmten gegen die Entscheidung. (Az: 1 BvR 518/02 - Beschluss vom 4. April 2006)

Bei Rasterfahndung Abgleich personenbezogener Daten

Zwar ließen die Karlsruher Richter das damalige nordrhein- westfälische Polizeirecht unbeanstandet, das ausreichend hohe Hürden für die Anordnung einer Rasterfahndung stelle. Allerdings verstoße die damalige gerichtliche Anordnung der Maßnahme gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Durch die unter anderem bei Universitäten, Einwohnermeldeämtern und dem Ausländerzentralregister gewonnenen Daten ließen sich Persönlichkeitsbilder erstellen, beanstandeten die Richter.

Bundesweite Bedeutung

Der schriftlich veröffentlichte Beschluss gilt unmittelbar nur für Nordrhein-Westfalen, hat jedoch bundesweite Bedeutung, weil die Rasterfahndung über alle Bundesländer hinweg koordiniert war. Das Gericht deutete an, dass die Gesetze der meisten anderen Bundesländer nachgebessert werden müssen, weil sie Rasterfahndungen auch ohne die vom Gericht nun geforderte "konkrete Gefahr" erlauben. Das nordrhein-westfälische Polizeigesetz selbst blieb unbeanstandet, weil es ausreichend hohe Hürden aufstelle, die lediglich von den Gerichten nicht ausreichend beachtet worden seien.

Islamisten nicht enttarnt

Gesucht wurde damals nach männlichen Studenten oder Ex-Studenten islamischen Glaubens zwischen 18 und 40 Jahren, die aus arabischen Ländern stammten. Bei der koordinierten Aktion hatten Einwohnermeldeämter, Universitäten und das Ausländerzentralregister mehr als acht Millionen Datensätze - 5,2 Millionen allein in Nordrhein-Westfalen - an die Polizei weitergeleitet. Nach einer ersten Rasterung wurden 32 000 Datensätze ans Bundeskriminalamt (BKA) übermittelt und dort in die Verbunddatei "Schläfer" eingestellt. Islamistische Terroristen seien dadurch, soweit ersichtlich, nicht enttarnt worden, heißt es in dem Beschluss.

Der Erste Senat - federführend vorbereitet wurde der Beschluss von Wolfgang Hoffmann-Riem - bekräftigte zwar, dass der Staat terroristischen Bedrohungen wirksam entgegentreten müsse und seine polizeilichen Instrumente angesichts neuer Gefährdungen auch fortentwickeln dürfe. Dabei sei er aber auf rechtsstaatliche Mittel beschränkt: "Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit darf vom Gesetzgeber neu justiert, die Gewichte dürfen jedoch von ihm nicht grundlegend verschoben werden."

Rasterfahndung nicht vorbeugend zulässig

Eine Rasterfahndung ist dem Gericht zufolge nicht bereits im Vorfeld einer "konkreten", durch Tatsachen begründeten Gefahr zulässig, weil sonst ohne jeglichen Verdacht tief greifende Eingriffe in Grundrechte möglich würden. Außenpolitische Spannungslagen, die von Terroristen für Anschläge genutzt werden könnten, gebe es immer wieder, weshalb die Gefahr eines Anschlags in Deutschland praktisch nie ausgeschlossen sei. Eine Rasterfahndung dagegen setze konkrete Anhaltspunkte für Anschlagsplanungen oder den Aufenthalt von Terroristen in Deutschland voraus.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der Senat wertete die Rasterfahndung als erheblichen Eingriff in das "Datenschutz-Grundrecht". Denn davon seien auch private, vertrauliche Informationen etwa zur Glaubensüberzeugung betroffen. Außerdem lasse sich aus der Vielzahl von Daten womöglich ein vollständiges Persönlichkeitsbild zusammenfügen. Erschwerend für die Betroffenen kommt laut Gericht das Risiko hinzu, mit polizeilichen Ermittlungen überzogen und als Ausländer muslimischen Glaubens stigmatisiert zu werden.

Bei der Rasterfahndung gleicht die Polizei personenbezogene Daten nach einem bestimmten Muster wie etwa Alter, Geschlecht und Religionszugehörigkeit ab. Das Mittel wurde bisher vor allem in den 70er Jahren zur Suche nach Mitgliedern der Rote Armee Fraktion (RAF) eingesetzt.

AP · DPA · Reuters
Reuters/AP/DPA

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