CDU-Parteitag Rote Socken trugen auch die Schwarzen

  • von Hans Peter Schütz
Die CDU beschäftigt sich mit ihrer Vergangenheit. Die Partei habe in der DDR "im totalitären System der SED-Diktatur mitgewirkt", heißt es in einem Beschluss des Bundesparteitages. Sanfter kann man die Rolle der CDU im DDR-Regime nicht beschreiben. Dabei gäbe es viel mehr aufzuarbeiten.

Wer außerhalb von Sachsen kannte schon noch vor wenigen Tagen Stanislaw Tillich? Ist das dort nicht der neue Ministerpräsident, rätselten manche. Selbst für Polit-Kenner in der Republik war der erste Sachse auf dem Stuhl des Regierungspräsidenten des Freistaats weithin ein Unbekannter. Jetzt hat er bundesweit ein Gesicht. Das einer "Blockflöte". Tillich kann sich heute nur noch mühsam daran erinnern, dass er offenbar über seine Mitgliedschaft in der Ost-CDU ungleich stärker ins politische System der DDR eingebunden gewesen war, als er bisher zugegeben hat.

So ließ er sich 1989 als "Reservekader" an der "Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft" fortbilden, um dann als stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz, zuständig für Handel und Versorgung, zu arbeiten. Zuvor soll er eine CDU-Parteischule besucht haben. Beides lässt eine enge Blockflöten-Nähe zum DDR-System vermuten. Eine Nähe, die Tillich offenbar nach der Wiedervereinigung nie eindeutig offen gelegt hat.

Tillich verteidigte seine eigene Biografie Ende November in einer Erklärung: "Ich stehe zu jedem Punkt meiner Biografie und habe immer offen gesagt, wann ich was in meiner beruflichen Laufbahn getan habe." Zu seiner Funktion im Rat des Kreises Kamenz sagt er: "Heute würde ich mich anders entscheiden."

Tillich stört den Wahlkampf

Der Fall Tillich passt damit so ganz und gar nicht in den Bundestagswahlkampf seiner Partei. In der CDU-Zentrale wollen sie, mal wieder, kräftig einprügeln auf die Linkspartei. Bei der operierten, so tönt es dort lautstark, doch die Erben der DDR-Diktatur. Nichts hätte die Linke aus der Geschichte gelernt. Diese Linke, so steht es aggressiv in dem Antrag, den die Parteiführung jetzt auf dem CDU-Parteitag in Stuttgart hat beschließen lassen, sei "die direkte Nachfolgerin der für Unterdrückung und Bespitzelung verantwortlichen SED." Und der SPD wird vorgeworfen, sie habe einst mit dem SED-Regime gemeinsame Wertvorstellungen entwickelt. 20 Jahre nach dem Ende der DDR dürfe es jedoch kein "Vergessen und Verdrängen" geben.

Gibt es doch. Bei der CDU. Ihre Führung will nicht zugeben, dass die Ost-CDU gewichtiger Teil und starke Stütze des SED-Systems gewesen ist. Kein kritischer Satz zu dieser Rolle stand zunächst im Entwurf des Bundesvorstands, der unter dem Titel "Geteilt.Vereint.Gemeinsam." politische Perspektiven für die neuen Länder präsentiert. Erst nach heftiger Kritik an der Verniedlichung der Rolle der Ost-CDU als "Blockflöten"-Partei, vorgetragen vor allem durch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer, empfahl die Antragskommission laue Selbstkritik.

Nun wird in der jetzt vom Parteitag beschlossenen Fassung zunächst der Beitrag der Ost-CDU zur "friedlichen Revolution" gelobt. Dann folgt der leicht selbstkritische Satz: "Gleichwohl hat die CDU in der DDR im totalitären System der SED-Diktatur mitgewirkt." Sanfter kann man die Rolle der CDU im Osten im DDR-Regime nicht beschreiben. Denn unbestreitbar ist: Auch die Schwarzen haben einst in der DDR rote Socken getragen. Grellrote Socken.

Geschlossen für den Sozialismus

Der ganzen Wahrheit stellt sich CDU mit ihrem Parteitagsbeschluß nicht, auch wenn CDU-Generalsekretär Pofalla dies selbstbewusst behauptet. Richtig ist, dass die SED "ein ganz anderes Kaliber" war als die Ost-CDU, wie Tillich sich verteidigt. Aber sie war in den Jahren zwischen 1950 und 1989 eine absolut linientreue prokommunistische zentralistische Kaderpartei. Anders als Angela Merkel und Pofalla war dies dem Einheits-Kanzler Helmut Kohl stets bewusst. Zunächst weigerte er sich sogar, Lothar de Maiziére, dem ersten Chef der Ost-CDU nach der Wende, auch nur die Hand zu geben. Für Kohl war die Ost-CDU ein ausgemachter Handlanger der SED gewesen. Die Vereinigung der CDU-West mit der CDU-Ost lehnte er ab. Die Ost-Landesverbände mussten um Beitritt bitten.

Die Ost-CDU hat unbestreitbar einen wichtigen Beitrag zur Etablierung der SED-Diktatur geleistet. Wenn sie heute gerne so tut, als ob sie die Köpfe der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung 1989 gestellt hätte, so klittert sie ihre Geschichte massiv. Von Anfang der 50er Jahre an operierte die Ost-CDU intensiv gegen die Bundesrepublik, versuchte die Regierung Adenauer und die Westpolitik des ersten Kanzlers zu unterminieren.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Schnell bekannte sich die Partei zur "sozialistischen Erneuerung der Gesellschaft." Der Sozialismus des Karl Marx war ihr mindestens so wichtig wie die Lehre des Christentums. Geschlossen stand die Partei-Führung, zumindest mit Worten, hinter dem niedergeschlagenen Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und hinter dem Mauerbau von 1961. Später befürwortete die DDR-Christenpartei sogar die atheistische Jugendweihe, die von der katholischen wie der evangelischen Kirche in der DDR abgelehnt wurde. Ihre Parteischreiben beendete sie stets mit einem markigen "sozialistischen Gruß!"

Strikt staatskonform

Was die Ost-CDU attraktiv machte: Mit ihrem Parteibuch in der Tasche konnte man sogar in der DDR eine Karriere machen, nicht in allerhöchste Kreise, aber immerhin in Berufe wie etwa Lehrer. Die Partei-Führung der "Blockflöten", zuletzt etwa 140.000, fiel nur selten durch Widerspruch gegen Staatssicherheit und SED auf, aber verhielt sich stets strikt staatskonform. Ihre Abgeordneten, Minister und Staatssekretäre waren absolut verlässliche Systemstützen, die in der Volkskammer jedes Gesetz mit trugen.

Mut eines klaren Bekenntnisses zur Rolle der Ost-CDU hatte auf dem CDU-Parteitag nur der Kreisverband Halle. Der bekannte in seinem abgelehnten Änderungsantrag: Wir "kennen die schuldhafte Mitverantwortung der Führung der CDU in der DDR an den Verfehlungen und Verbrechen einer Diktatur unter der führenden Rolle der SED." Die Blockpartei CDU sei eine Stütze des SED-Regimes gewesen. Man habe eben mitgemacht und damit das System stabilisiert.

So eindeutig mochte die CDU ihre Rolle als Blockpartei im DDR-Regime nicht beschreiben. Der aufrichtige Umgang mit der Vergangenheit schien ihr doch zu riskant zu sein mit Blick auf ihre Wahlchancen in den neuen Ländern. Wenigstens sollte sie dann aber nicht so lasch mit der herben historischen Wahrheit umgehen, wie dies der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder getan hat. Der hat lediglich eingeräumt, mit der Ost-CDU in der DDR sei "nicht immer alles in Ordnung gewesen."