Thüringen macht Pause von Corona. Vom 6. Juni an werden in dem Bundesland die Einschränkungen wegfallen, die bislang das Virus im Zaum halten sollen. Ist das, was Ministerpräsident Bodo Ramelow da vorhat, nun das leichtfertige Vorpreschen eines Linken, der in der Riege der Landesschefs bei den Lockerungen schneller sein will als so mancher Christdemokrat, dem die Kanzlerin schon mal die Beteiligung an "Öffnungsdiskussionsorgien" bescheinigt? Oder ist es das exakte Gegenteil, nämlich die Anwendung des Prinzips von "Maß und Mitte“ in einer Krise, bei der in manchen Regionen des Landes das Schlimmste überstanden zu sein scheint?
Bodo Ramelow argumentiert mit Zahlen. Die sind in Thüringen aktuell der Tat jenseits von besorgniserregend. Bis auf die Landkreise Sonneberg (39 Infizierte auf 100.000 Einwohner) und Eichsfeld (11,9) lagen die Fälle landesweit an diesem Montag im einstelligen Bereich. Mehrere Kreise verzeichneten gar keine Neuinfektionen. Thüringen ist damit auf einem Level angelangt, auf dem das Virus vom landesweiten Gesundheitssystem beherrschbar ist.
Bodo Ramelows vorgehen ist schlüssig
Ramelow hat einen Punkt, wenn er sagt, dass die bisherigen Maßnahmen Mitte März auf der Basis ganz anderer Erwartungen, nämlich deutlich höherer Fallzahlen, getroffen worden sind. Aus Verboten können deshalb Gebote werden, aus staatlichem Zwang selbstverantwortetes Maßhalten. Die Linie des Linken: Sollten lokale Infektionsherde auftreten, muss vor Ort alles getan werden, um den Infektionsherd einzugrenzen.
Das alles ist schlüssig. Es ist strategisch. Es ist die Abkehr vom Paternalismus. Es nimmt überdies die eigene Bevölkerung in die Pflicht, die bislang praktizierten hygienischen Standards aufrechtzuerhalten. Niemand wird zur Unvernunft gezwungen. Vor allem aber: Es ist ein Schritt, der jederzeit auch wieder rückgängig gemacht werden kann, sollten die Zahlen in den kommenden Wochen drastisch ansteigen. Was also soll so falsch daran sein?
Lauterbachs Vorwürfe gehen ins Leere
Für den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach hinterlässt Ramelow "den Eindruck, als knicke er als Ministerpräsident vor Aluhüten und rechtsradikalen Schreihälsen ein." Mit der Entscheidung in Thüringen drohe "ein bundesweiter Wettlauf der Länder, der aus medizinischer Sicht katastrophal wäre“, sagte Lauterbach der Rheinischen Post.
Ersteres ist Blödsinn, man kann das hier vernachlässigen. Mit seiner zweiten Befürchtung vor einem Wettlauf der Bundesländer liegt Lauterbach allerdings nicht falsch. Auch Sachsen plant ja bereits einen "Paradigmenwechsel" nach, sollten die örtlichen Infektionszahlen weiterhin auf niedrigem Niveau bleiben. Ein Wettlauf aber ist nur ein Wettlauf, wenn sich auch weitere Läufer finden. Und unvernünftig ist er erst dann, wenn andere Bundesländer es sich eigentlich aufgrund ihrer Situation nicht leisten können. Niemand aber hindert andere Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen daran, ihre Schutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten, wo sie es zum Wohle ihrer Bevölkerung für notwendig erachten.
Man wird also stärker auf Thüringen gucken müssen in den nächsten Wochen. Gerne optimistisch. Am besten aber: objektiv.