Fried – Die Politik-Kolumne Was das Ehegatten-Splitting mit einem Teenager-Zimmer zu tun hat

Nico Fried Kolumnen Illustration zu Ehegattensplitting
Die Debatte um das Ehegattensplitting gehört zu denen, die sich immer wiederholen ohne sinnvolles Ergebnis  
© Illustration: Sebastian König/Stern; Foto: Henning Kretschmer/Stern
Es gibt Debatten, die sich wiederholen, aber nie zu etwas führen. Zum Beispiel die über das Ehegattensplitting. Das wird diesmal nicht anders sein.

Die SPD schlägt eine Abschaffung des Ehegattensplittings vor. Die Grünen auch. Es melden sich Unterstützer dieser Forderung aus der Gesellschaft und der Wissenschaft, die Union aber will nichts ändern. So kennen Sie das aus dem Jahre 2023. Der Witz an der Sache: Genau so war es auch schon vor 22 Jahren.

SPD-Vize Renate Schmidt wollte 2001 das Ehegattensplitting zumindest verändern. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis wollte es abschaffen. Auch im Leitantrag für den Parteitag nahm die SPD es ins Visier; das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung unterstützte die Forderung, so auch die ZDF-Nachrichtenmoderatorin Petra Gerster. Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Christine Scheel, plädierte dafür, beim Ehegattensplitting Geld einzusparen und daraus – Achtung! – eine Kindergrundsicherung zu bezahlen. Die Union hielt damals dagegen und tut es heute auch. Bei ihr ist auch sonst alles gleich geblieben, der Fraktionsvorsitzende 2001 und 2023: Friedrich Merz.

Lars Klingbeil war seinerzeit 23 Jahre alt, studierte Politikwissenschaften in Hannover und jobbte nebenher im Wahlkreisbüro des Bundestagsabgeordneten Gerhard Schröder. Ich war 34 und seit kurzer Zeit Parlamentskorrespondent. Klingbeil ist mittlerweile in den besten Jahren und hat jetzt – als der ich-weiß-nicht-wie-vielte Politiker – gefordert, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Ich bin noch nicht so alt, wie ich mich manchmal fühle, aber erfahrungsgesättigt genug, dem SPD-Chef nahezu risikofrei vorauszusagen: Das wird nie was.

Die Debatte um das Ehegattensplitting muss modernisiert werden

Bei der Abschaffung des Ehegattensplittings handelt es sich um eine Debatte, die immer wieder folgenlos geführt wird, also vergleichbar der Diskussion mit einem Teenager über das Lüften seines Zimmers. Es gibt Debatten, deren Handlung sich nie ändert, die Bürgerversicherung gehört dazu sowie die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer. Was sich ändert, sind die Darsteller. Mit der Debatte um das Ehegattensplitting verhält es sich also in etwa so wie mit Agatha Christies Klassiker "Die Mausefalle", die seit 1952 in London aufgeführt wird. In Großbritannien allerdings ist das Ehegattensplitting längst abgeschafft.

Die Debatte endet auch immer gleich, sowohl in der Sache wie im Ablauf. In der Sache landet man irgendwann bei Artikel 6 des Grundgesetzes, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, woraus die Fürsprecher des Splittings die Wahlfreiheit der Eheleute ableiten, was die Erwerbsarbeit angeht. Im Verlauf meldet sich irgendwann ein hochrangiger, älterer Sozialdemokrat und tritt die Debatte aus. 2001 war es der SPD-Fraktionschef Peter Struck. 2023 hat soeben der Kanzler höchstselbst seinen Parteivorsitzenden gebremst. Auch das Motiv ist stets dasselbe: Bloß keinen neuen Ärger! Das Veto des FDP-Finanzministers ist da schon fast egal.

Was zur Debatte um das Ehegattensplitting gehört wie Schlagsahne zum Erdbeerkuchen ist das Beispiel vom gut verdienenden Zahnarzt und seiner nicht berufstätigen Gattin, die sich den ganzen Tag die Nägel lackiert. Der immense Steuervorteil, der diesem Paar entsteht, wird gerne zur abschreckenden Illustration für die Wirkung des Splittings angeführt. An dieser Stelle bin ich unbedingt dafür, die Debatte zu modernisieren. Nicht nur befinde ich mich seit Jahren in Behandlung bei einer Zahnärztin. Zwei Drittel der angehenden Zahnmediziner sind heute weiblich. Wir sollten von der allein verdienenden Zahnärztin und ihrem nicht berufstätigen Gatten sprechen, der sich den ganzen Tag die Nägel lackiert.

Erschienen in stern 30/2023