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Ein Psychogramm Arroganz - Westerwelles Tarnanzug

Berauscht vom Wahlsieg, geknickt von Umfragen: Guido Westerwelle versteht die Welt nicht mehr. Dass er zu Hartz IV poltert, hat nichts mit Strategie zu tun - sondern mit seiner Persönlichkeit.
Ein Gastbeitrag von Fritz Goergen

Seit Tagen bietet sich dem Beobachter ein ungewohntes Schauspiel. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle, Vizekanzler und Außenminister, polemisiert - sein Generalsekretär Christian Lindner argumentiert. Westerwelle hetzt gegen Hartz-IV-Empfänger, Lindner erklärt, warum der Sozialstaat auf neue Füße gestellt werden muss. Der Vorsitzende spaltet, der Generalsekretär verbindet. Eine neue, abgesprochene Rollenteilung? Nein, Westerwelle explodiert, weil er einfach nicht anders kann. Junggeneral Lindner sieht die strategische Lücke und füllt sie.

Beim Dreikönigstreffen der FDP Anfang des Jahres gewährte die Kamera ein paar Blicke ins Gesicht des Wahlsiegers Guido Westerwelle, während Christian Lindner seine erste Rede als Generalsekretär hielt. Was da in Westerwelles Gesicht aufblitzte, waren Angst und Zweifel: Hatte er da einen in seine Nähe gelassen, der ihm - anders als alle anderen - gefährlich werden könnte?

Fritz Goergen, 69

... kennt das Innenleben der FDP seit über 40 Jahren. Er arbeitete für Walter Scheel, Hans Friedrichs, Karl Moersch, war Hans-Dietrich Genschers Bundesgeschäftsführer und führte mehr als 13 Jahre lang die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung. Goergen gilt als Erfinder der "Strategie 18", er beriet Jürgen Möllemann im Wahlkampf. 2002 trat er aus der FDP aus und arbeitet heute als freier Berater, Publizist und Kritiker. Sein Buch "Skandal FDP" (Bruno Media, 2004) ist eine Abrechnung mit der Partei - und ihrem Vorsitzenden Guido Westerwelle.

Er versteht die Welt nicht mehr

Guido Westerwelle, bei der Vorstellung des schwarz-gelben Regierungsprogrammes, eingerahmt von Angela Merkel und Horst Seehofer, strahlte wie ein Honigkuchenpferd. An Kreide hatte er sich in den Tagen nach der Wahl geradezu überfressen. Milde und verbindlich schien er geworden zu sein. Die Umfrageergebnisse stiegen über das Wahlergebnis hinaus. Der überwältigende Sieg machte die ganze FDP besoffen, allen voran den Vorsitzenden. Dieser Rausch hält an. Der große Kater kommt erst, wenn Westerwelle die Macht verliert, die er jetzt im Übermaß zu haben glaubt. Dass "Mutti" mit ihm und seiner Partei machen kann, was sie will, ist eine Lektion, die er noch vor sich hat. Eine FDP, der mehr als die Hälfte ihrer Wähler von der CDU auf Zeit zugelaufen sind, steckt hoffnungsloser in der babylonischen Gefangenschaft der CDU als zu Kohls und Kinkels Zeiten.

Wenige Wochen später fing das Gezänk innerhalb der "christlich-liberalen" Koalition an und verstummte nicht mehr. Die Umfragen für die FDP im Bund halbierten sich, in Nordrhein-Westfalen rutschten sie bedrohlich nahe an die fünf Prozent. Jürgen Rüttgers machte die Tür zu den Grünen auf. In der FDP regt sich Kritik am großen Vorsitzenden. Statt in der Beliebtheitsskala den üblichen Bonus des Außenministers einzustreichen, sinken seine Werte. Guido Westerwelle versteht die Welt nicht mehr.

Hier schreie ich, ich kann nicht anders

Hat er nicht das beste Wahlergebnis in der Geschichte der FDP eingefahren? Hat er nicht in wichtigen Ländern der Welt als neuer deutscher Außenminister ohne Patzer debütiert - selbst in Israel und Polen? Ist er nicht der eigentlich Mächtige in Staat und Partei? Und nun das? Wer auf seine Mimik und Körpersprache achtete, konnte es nicht übersehen. Sein Hals schwoll von Woche zu Woche, sein Gemütspegel überstieg die rote Marke, der Gefühlskessel geriet unter Überdruck. Welches Ventil sich jetzt bot, war egal, Hauptsache Luft machen, rausschreien. Dass das Verfassungsgerichtsurteil zu Hartz-IV als Ventil für seinen Wutausbruch herhielt, war purer Zufall. So war es immer schon mit Guido Westerwelle, dem Einsamen an der Spitze. Wenn es nicht geht, wie er will, brüllte er schon immer seine Mitarbeiter an, nun eben eine ganze Minderheit des deutschen Volkes, eine Minderheit, die ebenso wächst wie ihr stiller Zorn.

An nichts arbeitet Westerwelle schon so lange und so hart und so unaufhörlich wie an sich selbst. Natürlich ist er viel zu intelligent, um nicht zu wissen, was er mit seiner Polemik gegen Hartz-IV-Empfänger anrichtet. Natürlich weiß er, dass er hier schlicht hetzt. Aber wenn er sich Luft verschaffen muss, tut er es. Koste es, was es wolle. Hier schreie ich, ich kann nicht anders. Langt er daneben, legt er noch nach. Denn er ist uneinsichtig bis zum geht nicht mehr. Alle, die näher mit ihm zusammen gearbeitet haben, können davon endlose Klagelieder singen. Natürlich bleibt Westerwelle immer genug Verstand, um zu wissen, welche tumben Spießer-Klischees er bedient, bei Kernwählern seiner Partei und den Zeitparkern, die von der CDU enttäuscht sind. Doch zu glauben, der FDP-Vorsitzende provoziere und polemisiere strategisch kalkuliert, verkennt die Person Westerwelle.

Schwachstelle: kein inneres Maß

Ein Beobachter schrieb 2004: "Über Guido Westerwelle liest man heute immer mal wieder, aus dem jugendlich frechen Spaßvogel sei ein früh Gealterter geworden; einer, der schon so ernst und weise daher rede wie ein Bundespräsidenten-Kandidat. Wird nicht umgekehrt ein Schuh draus? Der schon früh 'alte' Westerwelle hatte sich seinen jugendlich schmissigen Auftritt als Juli-Vorsitzender und Generalsekretär zielgruppen- und mediengerecht zugelegt. Nachdem ihn die Medien als allzu nassforschen, gefühlskalten Yuppie kritisierten, korrigierte er sein Image erst mit Fröhlichkeit und dann mit Nachdenklichkeit. Unweigerlich übertrieb er jedes Mal, weil das eine wie das andere nicht authentisch, sondern aufgesetzt war. Eigenschaften, die wir nicht haben, Verhaltensweisen, die wir uns zulegen, aufreden lassen, haben eine gefährliche Schwachstelle: Wir haben für sie kein inneres Maß."

Kein inneres Maß - Guido Westerwelles Schwachstelle. Er ist auf der ewigen Suche nach sich selbst. Auf seinem langen Weg ringt er sich jeden Millimeter Unsicherheit mühsam ab, um den Preis, dass sich jeder Millimeter in Überheblichkeit verwandelt. Arroganz - auch scheinbar kontrollierte - ist das äußere Erkennungszeichen innerlich Ungefestigter. Arroganz ist ein Tarnanzug. Doch Kundige wissen: Arroganz zeugt vom fehlenden inneren Maß.

Westerwelle kriegt seine Rollen als Parteichef, Außenminister und Vizekanzler nicht unter einen Hut; den Fraktionsvorsitz hat er nur nominal an Birgit Homburger abgegeben. Neben sich erträgt er niemanden an der Spitze. Seinem persönlichen Führungs-Credo von 2001 getreu: "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, ist einer, der die Sache regelt. Und das bin ich." Wofür ihm damals die Parteitagsdelegierten zujubelten, gerät ihm jetzt zum Verhängnis. Er will und kann in keinem Team spielen. Guido Westerwelle hat seinen Zenit überschritten. Der Abstieg hat begonnen. Wie lange der dauert, hat er nicht im Griff.

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