Worum geht es genau bei der Kraftwerksstrategie?
Bei der Kraftwerksstrategie der Bundesregierung geht es im Kern um die Frage, ob und wie viele neue Kraftwerke in Deutschland in den kommenden Jahren gebaut werden. Die vorhandenen Kohlemeiler sollen durch Gaskraftwerke ersetzt werden.
Anlass für die Strategie ist das vom Bundestag beschlossene Ziel, dass Deutschland bis 2045 zu einem klimaneutralen Industrieland werden soll. Um das zu erreichen, braucht es zum einen noch mehr Erneuerbare Energien – das Stromsystem soll bis 2035 weitgehend klimaneutral sein. Zum anderen muss auch in Flautephasen genügend Strom zur Verfügung stehen, um energieintensive Materialien wie Stahl und Zement ohne Treibhausgasemissionen zu produzieren.
Hier kommt "grüner" Wasserstoff ins Spiel, der allerdings erst von Erdgaskraftwerken produziert werden muss. Neue Gaskraftwerke, die ab 2035 bis 2040 mit Wasserstoff betrieben werden, sollen hierfür künftig Energie liefern. Darüber hinaus sollen sie als Backups einspringen, um Flauten bei Wind und Sonne auszugleichen.
Wie viele neue Kraftwerke werden gebaut?
Kurzfristig sollen neue Kraftwerkskapazitäten im Umfang von 10 Gigawatt entstehen – vier mal 2,5 Gigawatt. Der Bau dieser wasserstofffähigen Gaskraftwerke soll ausgeschrieben werden. Der Energiekonzern RWE hat bereits sein Interesse am Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke bekundet. "RWE plant, sich an den Ausschreibungen zu beteiligen", so ein Sprecher. Auch Uniper will solche Gaskraftwerke bauen, die später mit Wasserstoff laufen können.
Umweltökonom Andreas Löschel, Professor für Umwelt- und Ressourcenökonomik sowie Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum, hält die geplanten 10 Gigawatt für einen guten Anfang: "Diese Menge ist sicher nicht überdimensioniert, kann aber wichtige Investitionen anstoßen", so Löschel. Das Geld dafür soll aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen und an die Betreiber gehen, die die Kraftwerke dann bauen. In Regierungskreisen rechnet man mit Kosten von rund 15 bis 20 Mrd. Euro bis Anfang der 2040er Jahre.
Wo werden die neuen Kraftwerke stehen?
Die genauen Standorte neuer Kraftwerke sind noch unklar. Wahrscheinlich werde man Orte wählen, wo es auch heute schon Kraftwerke gibt, so Löschel. "Die neuen Kraftwerke müssen an der richtigen Stelle stehen und werden schon eher im Süden Deutschlands gebaut." Laut Bundesregierung sollen es so genannte "systemdienliche" Standorte sein, also vor allem solche an Knotenpunkten zu energieintensiven großen Industriekomplexen.
Die Tochterfirma Iqony des Energiekonzerns Steag beispielsweise will ihre Kraftwerksstandorte für den Neubau wasserstofffähiger Gaskraftwerke nutzen. Bisher betreibt Iqony Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Nach früheren Angaben kann das Unternehmen "relativ schnell" an drei Standorten neue Kapazitäten mit einer Leistung von insgesamt rund zwei Gigawatt realisieren.

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Warum regelt die Politik und nicht der Markt?
Bisher waren Investitionen für Energieunternehmen uninteressant, weil sich die neuen Kraftwerke nicht ohne Weiteres rechnen. "Wenn Kraftwerke, die wenige Stunden laufen, keine hohen Erlöse erzielen können und noch dazu die Politik Subventionen ins Schaufenster stellt, investieren Firmen eben nicht in wichtige Erzeugungstechnologien", sagt Löschel. Der jetzige Plan der Bundesregierung ist quasi ein Mittelweg, der Firmen animieren soll, weitere Investitionen beizusteuern.
"Der Staat hat zuletzt stark in den Markt eingegriffen, etwa durch die Abschöpfung von Überschüssen in der Energiekrise", so Löschel. "Wo investiert wird, sollte nicht durch den Staat bestimmt werden, sondern durch Anreize aus dem Markt." Das Ziel müsse sein, dass die Märkte künftig weniger durch Eingriffe der Politik torpediert werden.
Wie bewerten Expertinnen und Experten den Plan?
"Im Großen und Ganzen ist das Vorgehen schlüssig. Nach langem Hin und Her hat die Politik scheinbar den gordischen Knoten durchschlagen", sagt Energieökonom Löschel.
Auch Christoph Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, hält die Strategie für richtig. Deutschland habe jahrelang sehr stark den Energiemarkt reguliert, sagte er zum Wirtschaftsmagazin Capital. "Die Folge war, dass Investitionen ausgeblieben sind. Und jetzt war es an der Zeit, das Geld in die Hand zu nehmen und zu sagen: Wir brauchen diese Kapazitäten."
Welche Kritik gibt es an der Kraftwerksstrategie?
Neben den positiven Stimmen äußern einige Expertinnen und Experten Kritik: Ein Bündnis von Umweltverbänden moniert zum Beispiel, die Bundesregierung öffne mit der Strategie die "Büchse der Pandora": Die Abscheidung von CO2 in Gestein soll ebenfalls Teil der Strategie sein. Das sei ein Frontalangriff auf die Energiewende und ein fossiler Irrweg, kritisiert unter anderem der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND. Durch "Carbon Capture and Storage" (CCS) wird überschüssiges CO2 in tiefe Gesteinsschichten gepresst.
Bei diesem Vorgang sei noch vieles unklar, sagt auch Energieökonom Löschel. "Im Prinzip wäre eine Öffnung in Richtung blauer Wasserstoff aber zu begrüßen, um rascher die Umstellung auf Wasserstoff hinzubekommen."
Wie ist der weitere Zeitplan?
Die Bundesregierung ist nach eigenen Angaben im Gespräch mit der EU-Kommission, um im Zuge der Kraftwerksstrategie ab 2028 einen sogenannten Kapazitätsmarkt zu schaffen. Brüssel muss dem zustimmen, denn es würde den bisherigen Strommarkt grundlegend verändern. Kraftwerksbetreiber würden dann dafür bezahlt werden, dass ihre Kraftwerke Kapazitäten vorhalten, also jederzeit einsatzbereit sind und einspringen können – auch wenn sie am Ende gar keinen Strom liefern.
Experte Löschel hält den Zeitplan für "super ambitioniert". Die Tage der Kohle seien in jedem Fall gezählt, auch wenn ein komplettes Kohle-Aus 2030 damit "noch nicht sicher" sei.
Die neue Kraftwerksstrategie soll laut Ampel-Koalition spätestens im Sommer vom Bundeskabinett verabschiedet werden.
Mitarbeit: Jannik Tillar
Dieser Artikel erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Capital", das wie der stern Teil von RTL Deutschland ist.