FDP-Chef Guido Westerwelle sieht seine Partei als Anwalt der "vergessenen Mitte" der Gesellschaft und will die Landtagswahlen in diesem Jahr zur politischen Wende nutzen. "Der Neosozialismus muss wieder klein geschrieben werden", sagte Westerwelle am Sonntag beim traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart. Nur wenn die FDP in Hessen und Niedersachsen nach den Wahlen Ende Januar mit der CDU an die Regierung komme, könne der "Linksrutsch" beendet werden.
Anwalt der "vergessenen Mitte"
Westerwelle verteidigte seinen Generalsekretär Dirk Niebel gegen Attacken nach dessen Vergleich der großen Koalition mit den Zuständen in der DDR. "Ich möchte lieber Niebel als Generalsekretär, als jemanden der schweigt." Zudem begrüßte er die kritischen Äußerungen von Ex-Partei- und Fraktionschef Wolfgang Gerhardt am Erscheinungsbild der FDP. "Ich bin mal in die FDP eingetreten, weil man hier diskutieren kann", rief Westerwelle vor über 1000 Zuhörern im Stuttgarter Opernhaus.
Dreikönigstreffen der FDP
Das traditionelle Dreikönigstreffen der FDP hat seine Wurzeln in Baden-Württemberg. Seit über 140 Jahren starten die Liberalen am 6. Januar im Südwesten politisch in das neue Jahr. 1866 traf sich ein Vorläufer der FDP, die Württembergische Volkspartei, in Stuttgart zu ihrer ersten "Dreikönigsparade", eine Art Landesvertreterversammlung. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich die Zusammenkunft am Dreikönigstag zu einer vielbeachteten Kundgebung mit Parteiprominenz. Zwischen 1933 und 1945 fanden keine Treffen statt. Beim Dreikönigstreffen will sich die FDP traditionell auf die Werte liberaler Geisteshaltung besinnen und Selbstbewusstsein demonstrieren.
Nur indirekt ging der FDP-Chef auf die innerparteiliche Debatte über mangelndes Profil und eine breitere personelle Aufstellung der Liberalen ein. Er verwies auf die Wahlerfolge der FDP und rief aus: "Wir halten Kurs." Eine negative Bilanz zog Westerwelle für die politische Entwicklung 2007. "Das Verteilen wurde wichtiger als das Erwirtschaften", kritisierte er in der vollbesetzten Stuttgarter Staatsoper. Vor einem Jahr hätte man es kaum für möglich gehalten, "dass sogar die schmalen Reformen der Agenda 2010 eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers von einer CDU-Bundeskanzlerin rückabgewickelt werden".
"2007 war das Jahr des Pendelausschlags nach links"
Auch habe kaum jemand erwartet, dass die Regierung in Deutschland die Höhe von Löhnen festlege und damit bei privaten Postunternehmen Tausende von Arbeitsplätzen vernichte. Zudem habe es 2007 die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik und die Einführung der Planwirtschaft im Gesundheitswesen gegeben. "2007 war das Jahr des Pendelausschlags nach links. 2007 war das Jahr, in dem die bürokratische Staatswirtschaft neue Freunde gefunden hat - bis in die Reihen der Union hinein", sagte Westerwelle.
Nach diesem Jahr der verpassten Chancen wollten die Freien Demokraten den Linksrutsch beenden und 2008 zum Jahr der Leistungsgerechtigkeit machen. Dabei wende sich die Partei an die Mitte, die für soziale Marktwirtschaft eintrete. Diese Mitte müsse aus der Deckung kommen und die FDP unterstützen. "2008 muss das Jahr derjenigen Bürger werden, die den Karren in Deutschland ziehen", betonte Westerwelle und fügte hinzu: "Es ist eine stille Mehrheit. Es ist die vergessene Mitte".

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FDP für Ende des "Linksrucks"
Dabei sieht Westerwelle in den Landtagswahlen dieses Jahres die Chance zur politischen Wende in Deutschland: "Der Neosozialismus muss wieder klein geschrieben werden." Und weiter: "Demokratischer Sozialismus - das ist ein vegetarischer Schlachthof." Nur wenn die FDP in Hessen und Niedersachsen nach den Wahlen Ende Januar mit der CDU an die Regierung komme, könne der "Linksrutsch" beendet werden. Westerwelle warf der SPD in beiden Ländern vor, im Zweifel mit den Grünen und der Partei Die Linke regieren zu wollen. "Sie werden umfallen", rief er vor über 1000 Zuhörern im Stuttgarter Opernhaus.
Scharf wandte sich der FDP-Chef gegen die von der Großen Koalition beschlossene Vorratsdatenspeicherung und die Pläne für Online-Durchsuchungen. Was Jugendkriminalität angeht, forderte Westerwelle Gefängnis für schwere Straftaten, lehnte aber eine Erhöhung des Strafmaßes ab. "Wir haben kein wirkliches Gesetzesdefizit, wir haben ein Vollzugsdefizit", so Westerwelle. Die Strafen müssten auf dem Fuße folgen, damit Jugendliche daraus etwas lernten. Genau das sei aber zum Beispiel in Hessen nicht der Fall. Der dortige Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hatte die Debatte über schärfere Gesetze im Landtagswahlkampf forciert. Bei der Dauer der Verfahren ist Hessen laut Westerwelle gemeinsam mit Brandenburg Schlusslicht.
Keine offene Kritik am FDP-Chef
An der Kundgebung nahm auch der ehemalige FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt teil, der kurz vor dem Dreikönigstreffen mit einer Denkschrift "Für Freiheit und Fairness" Furore gemacht hatte. Darin forderte er eine nachhaltigere politische Akzentuierung und breitere personelle Aufstellung der FDP an der Spitze. Gerhardt, dessen Warnung vor einer "One-Man-Show" als indirekte Kritik an dem FDP-Vorsitzenden verstanden wurde, trat aber nicht als Redner in Stuttgart auf.
Zur Diskussion um Niebel sagte Westerwelle, dessen Entschuldigung reiche vollkommen aus. Ein Generalsekretär müsse "attackieren und dafür sorgen, dass sich die anderen gelegentlich erschrecken". Vor Dreikönig hatte es sogar aus der eigenen Partei Rücktrittsforderungen gegen Niebel gegeben. Dieser hatte am Samstag betont, er habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht "verunglimpfen" wollen. "Die Freien Demokraten sind kampfeslustig und diskussionsfreudig. Wir wären seit Jahren nicht so erfolgreich, wenn wir nicht ein gutes Team wären", so Westerwelle. Im Bund verfüge die FDP über zehn Prozent, und in Baden-Württemberg sei sie mit elf Prozent in der Regierung. "Da gab es auch schon andere Zeiten", fügte der FDP-Vorsitzende hinzu und sagte: "Wir halten Kurs. Das ist nicht spektakulär, aber richtig."