Anzeige
Anzeige

Finanzkrise Kannegiesser attackiert Banken-Bosse

Was tun die Banken, um die Wirtschaftskrise und die Not der Unternehmen abzufedern? Viel zu wenig, findet Martin Kannegiesser, Chef des mächtigen Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Im stern.de-Interview fordert er einen Führungswechsel bei deutschen Banken, geißelt die französische Konjunkturpolitik als "Schaumschlägerei" - und lehnt Konsumgutscheine ab.

Herr Kannegiesser, haben Sie schon Weihnachtsgeschenke gekauft?

Noch nicht.

Werden Sie weniger oder mehr als im vergangenen Jahr ausgeben?

Ich denke, ich werde auf demselben Niveau bleiben.

Was würden Sie mit einem 500-Euro-Konsumgutschein kaufen?

Was würde ich kaufen... wahrscheinlich irgendetwas für meine Tochter, für die habe ich immer eine Idee.

Was halten Sie von der Idee, mit solchen Gutscheinen die Binnennachfrage anzukurbeln?

Nichts. Wir brauchen jetzt Maßnahmen, von denen die Menschen überzeugt sind, dass sie langfristig wirken. Jedem ein paar Hundert Euro in die Tasche zu schieben reicht nicht. So etwas wirkt allenfalls wie ein Strohfeuer. Die Verbraucher ziehen bereits geplante Käufe einfach vor.

Viel wichtiger ist: Wir müssen alles dafür tun, das Entstehen neuer Arbeitslosigkeit zu verhindern. Den Menschen muss Vertrauen gegeben werden. Alle müssen sich möglichst normal verhalten. Sowohl die, die über Investitionen entscheiden, als auch die, die konsumieren. Konsumgutscheine produzieren nur neue Schulden, die uns die Zukunft noch schwieriger machen.

Hat die Bundesregierung genug getan, um die Krise zu bekämpfen?

Die Regierung hat bislang abwartend reagiert, das erste Konjunkturprogramm jedenfalls erscheint mir noch zu klein, um wirklich einen spürbaren Effekt zu erzielen.

Zur Person

Martin Kannegiesser, Jahrgang 1941, ist Diplomkaufmann, Unternehmer und seit September 2000 Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.

Das ist den Beteiligten wohl auch mittlerweile klar. Die Politik, aber auch alle anderen, sind von der Wucht, mit der uns der Abschwung erfasst hat, überrascht worden. Ein wirkungsvolles Konjunkturprogramm muss gut durchdacht sein. Der Schuss muss sitzen, mehr Munition haben wir nicht. Dafür kann man sich nicht Wochen und Monate Zeit nehmen, aber eine gewisse Zeit ist notwendig, um die richtige Mischung zu finden. Wartet die Politik zu lange, wird sehr viel zerredet. Die aktuelle Debatte zeigt dies ganz deutlich: Es gibt immer mehr Lösungsvorschläge, immer mehr vermeintliche Rezepte, wie das Konjunkturprogramm auszusehen hat.

Aus unserer Sicht müsste schwerpunktmäßig in Infrastruktur investiert werden. Diese Investitionen schaffen dauerhaft Nutzen und sofort zusätzliches Einkommen. Über solche Ausgabenprogramme müssen auch die Banken etwas tun und sicherstellen, dass die Finanzierung der Unternehmen erhalten bleibt.

Sehen Sie schon erste Anzeichen, dass die Finanzierung nicht mehr funktioniert? Haben wir schon eine Kreditklemme in Deutschland?

Es wird eindeutig schwieriger, von einer Kreditklemme würde ich aber noch nicht sprechen. Das Misstrauen der Banken den eigenen Kunden gegenüber ist aber um einiges größer geworden.

Was kann dagegen getan werden?

Der Bankensektor muss die gespannten Schutzschirme nicht nur zur Sanierung der eigenen Bilanzen verwenden, sondern auch, um die reale Wirtschaft zu unterstützen. Hier gab es leider noch kein Umdenken bei den Banken. Es passiert noch viel zu wenig in dieser Richtung.

In den Führungsetagen der Banken hat sich zwar schon einiges geändert, aber vielleicht braucht es auch eine neue Bereitschaft, mit dem Umfeld zu kommunizieren, zu sagen, "das ist schief gelaufen, das machen wir jetzt anders". Vielleicht braucht die eine oder andere Bank auch neues Führungspersonal, um diese offene Kommunikation auch umzusetzen.

Bislang schweigt die Branche.

Genau. Wann haben Sie in der letzten Zeit vom Finanzsektor eine Stellungnahme dazu gehört, wo die Probleme liegen, was man tun wird, um die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten aufrechtzuerhalten? Der Finanzsektor ist der Blutkreislauf der Wirtschaft. Deshalb hat diese Branche eine spezielle Bedeutung und Verpflichtung.

Dieser Verantwortung muss man sich als Branche stellen. Sie muss viel stärker die Zusammenhänge erklären und sagen, was künftig anders laufen soll.

Ist es ausreichend, in diesem Fall auf Einsicht und auf Freiwilligkeit zu hoffen? Oder muss die Politik mit dafür sorgen, dass das Geld aus dem Rettungsschirm nicht nur zur Sanierung der eigenen Bilanz verwendet wird?

Das erste Ziel des Schirms war natürlich, Zusammenbrüche von Instituten zu verhindern. Aber ein weiteres Ziel war auch, dass die Banken nicht in eine Angststarre verfallen und damit die gesamte Wirtschaft mit in den Abgrund reißen. Die Banken können nur schwer dazu gezwungen werden, Kredite zu vergeben. Aber ein gewisser öffentlicher Druck ist wichtig, damit es zu keiner Kreditklemme kommt. Die Branche muss ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten.

Welchen Beitrag kann die Metall- und Elektroindustrie leisten?

Unsere Unternehmen werden so lange wie möglich versuchen, ihre Beschäftigten an Bord zu halten. Wir werden hoffentlich bis zur zweiten Hälfte des kommenden Jahres ohne einen großen Arbeitsplatzabbau auskommen. Dann müssen wir weiter sehen. Wir können derzeit nur auf Sicht fahren. Aber wir dürfen die Vorsprünge, die wir uns in den vergangenen Jahren erarbeitet haben, nicht leichtfertig verspielen.

Sie fordern Investitionen in die Infrastruktur. Es braucht ein paar Monate, bis die positive Wirkung entfalten. Muss nicht deshalb auch über Maßnahmen nachgedacht werden, die jetzt sofort beim Bürger ankommen? Wie zum Beispiel eine Reduzierung der Mehrwertsteuer?

Ich persönlich bin da eher skeptisch. Ein solcher Schritt würde gewaltige Steuerausfälle nach sich ziehen. Und außerdem würde die Umsatzsteuer nach einer gewissen Zeit auch wieder erhöht. Eine solche Politik des "Stop and go" ist niemals gut und führt nur zu einer Verunsicherung bei den Verbrauchern.

Zudem werden unsere Mitarbeiter im kommenden Jahr aufgrund der sehr niedrigen Inflation wieder deutliche Realzuwächse sehen. Ein Rückgang der Inflation um einen Prozentpunkt schafft 14 Milliarden Euro zusätzliche Kaufkraft. Schon über diesen Kanal wird die Binnennachfrage gestützt. Darüber hinaus brauchen wir dauerhafte Maßnahmen, die schnell wirken, wie zum Beispiel die Abschaffung des Solidaritätszuschlags.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht von einem Jahr der schlechten Nachrichten. Wie schlimm wird 2009 für die Metall- und Elektroindustrie?

Keiner kann genau sagen, wie tief und lang das Tal ist, das wir durchschreiten müssen. Es wird natürlich nicht ganz ohne Arbeitsplatzverluste abgehen.

In vielen Bereichen sind wir aber weitaus besser aufgestellt als in der Vergangenheit. Wir haben gute Technologien. In Amerika denkt man beispielsweise gerade über Hochgeschwindigkeitszüge nach - Deutschland ist einer der führenden Bahntechnik-Lieferanten. Eines der vielen Beispiele für unsere Stärken, die wir auch in einem Konjunkturtal erhalten müssen.

Haben Sie den hohen Tarifabschluss schon wieder bereut?

Ob der heute noch so zustande kommen würde, ist zu bezweifeln. Die Bewusstseinslage ist eine ganz andere. Aber bereut? Nein. Er ist damals unter dem gegebenen Erkenntnisstand beschlossen worden. Aus heutiger Sicht ist er relativ hoch, ich halte ihn aber immer noch für verkraftbar. Er gibt Unternehmen, die wirklich in einer schwierigen Lage sind, die Möglichkeit, die Belastungen fast zu halbieren. Anderseits lässt er den Mitarbeitern durch eine sehr komfortable Einmalzahlung am Erfolg der Vergangenheit teilhaben. Der Rückgang der Inflation sorgt dafür, dass die Reallöhne bei allen Arbeitnehmern steigen.

Sie sagen "Ja, es wird schlimm, aber die Wirtschaft ist auch gut aufgestellt". Andere verbreiten dagegen Panik. Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter prognostiziert für das kommende Jahr im schlimmsten Fall ein Wirtschaftswachstum von minus vier Prozent. Wie passt das zusammen?

Die Stimmung ist in den vergangenen zwei Monaten deutlich schneller abgestürzt als die Lage. Ein solches Problem haben wir nicht zum ersten Mal. Je öfter über die Krise gesprochen wird, desto schlimmer wird sie wahrgenommen. Egal wo ich hinkomme, ich werde immer zuerst gefragt: Und wie geht es bei euch?

Bei einer Flutwelle werden alle nass, manche werden auch untergehen. Aber man sollte sich immer wieder bewusst machen, dass wir die Krise durchstehen werden. Es darf keine Angststarre aufkommen. Das gilt gerade für die Unternehmen, es muss investiert werden. Darum sind solche Horror-Prognosen wenig hilfreich.

Innerhalb Europas gibt es gerade zwischen Frankreich und Deutschland heftige Auseinandersetzungen, wie der Krise begegnet werden sollte. Deutschland scheint da mit seiner abwartenden Haltung etwas isoliert.

Wir müssen uns auf europäischer Ebene integrieren und gemeinsam etwas schaffen. Zu meinen, dass irgendein Land im Alleingang die Krise bewältigen kann, ist ein Trugschluss. Es darf auch nicht passieren, dass sich ein Land auf Kosten des anderen saniert.

Deutschland, die größte Volkswirtschaft innerhalb der EU, darf deshalb in den Beratungen nicht ausgeklammert werden und darf sich auch selbst nicht ausklammern. Das wäre grundfalsch, wir müssen alle zusammenstehen und eine gemeinsame Linie finden.

Bislang gibt es die gemeinsame Linie nicht wirklich. Frankreich und auch Großbritannien werfen Deutschland vor, viel zu wenig zu machen.

Bislang haben die anderen europäischen Länder viel angekündigt und nur wenig umgesetzt. Gerade in Frankreich ist das ja häufig der Fall. Was in anderen Ländern passiert, hat auch viel mit Aktionismus und Schaumschlägerei zu tun. Es kann doch nicht nur darum gehen, Schaum zu schlagen, um das Publikum möglichst schnell zufrieden zu stellen.

Sollten bestimmte Branchen besonders gefördert werden?

Das ist immer verlockend, weil solche Spritzen ganz schnell in die Blutbahn gehen. Aber wie kommt man vom Opium wieder runter? Angesichts der Dimension der Krise helfen nur Maßnahmen, die der Gesamtwirtschaft zugutekommen. Ich könnte mir aus meinem eigenen Erfahrungsbereich eine befristete Investitionsförderung vorstellen, die die Unternehmen ermutigt, geplante Investitionen vorzuziehen, und damit Beschäftigung und Know-how zu erhalten.

Interview: Marcus Gatzke

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel