Föderalismusreform Bundestag beschließt Mammutwerk

Die entscheidende Hürde wurde doch noch genommen: Der Bundestag hat die größte Verfassungsreform in der Geschichte der Bundesrepublik mit Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet.

Der Bundestag hat die Föderalismus-Reform am Freitag mit Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet. In namentlicher Abstimmung votierten am Freitag 428 von 593 Abgeordneten für die Neuordnung der Bund-Länder-Beziehungen. Damit nahm die größte Verfassungsreform in der Geschichte der Bundesrepublik die entscheidende Hürde in der Gesetzgebung. In einer Woche soll auch der Bundesrat abstimmen, eine Zustimmung hier gilt als gesichert.

Mit der Staatsreform sollen die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern neu aufgeteilt werden. So verzichten die Länder auf einen Teil ihrer Mitwirkungsrechte im Bundesrat und erhalten im Gegenzug die alleinige Zuständigkeit etwa für die Schulen und das Beamtenrecht. Die Kritiker warnten vor einem Rückfall in die Kleinstaaterei.

Föderalismusreform seit 20 Jahren Dauerthema

Die Reform der föderalen Ordnung in Deutschland ist seit mehr als 20 Jahren ein politisches Dauerthema. Bundestag und Bundesrat beschlossen deshalb am 17. Oktober 2003, eine gemeinsame Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (Föderalismuskommission) einzusetzen. Geleitet wurde das Gremium von Franz Müntefering (SPD) und Edmund Stoiber (CSU). Trotz übereinstimmender Bewertung in wichtigen Einzelfragen scheiterte die Kommission im Dezember 2004. Der Bund lehnte eine zentrale Forderung der großen Mehrheit der Länder ab: die Übertragung von Gesetzgebungs- und Finanzierungskompetenzen im Bildungsbereich.

In den Koalitionsverhandlungen konnten schließlich CDU/CSU und SPD eine Einigung über die Föderalismusreform erzielen und im Koalitionsvertrag von November 2005 festschreiben. Mitte Dezember stimmten die Ministerpräsidenten einstimmig der Grundgesetzänderung zu, die mit mehr als 40 Einzelteilen die umfassendste in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist. Im Februar 2006 schienen dann auch Details und Übergangsvorschriften ausverhandelt.

Doch nach der gemeinsamen Expertenanhörung von Bundestag und Bundesrat, in der mehr als 100 Sachverständige auftraten, wurden im Juni erneut Forderungen nach Nachbesserungen laut. Vor allem SPD-Abgeordnete drohten damit, das Reformprojekt im Bundestag scheitern zu lassen. Um dies zu verhindern, wurde in letzter Minute vereinbart, dass Bund und Länder gemeinsam Forschungs- und Wissenschaftsprojekte an Hochschulen fördern dürfen, wenn der Bundesrat dies einstimmig billigt.

Weniger Wirrwarr bei der Gesetzgebung

Die Föderalismusreform soll den Wirrwarr bei der Gesetzgebung in Deutschland entflechten. Künftig ist die Zustimmung der Länder nicht mehr bei rund 60 Prozent der Bundesgesetze, sondern nur noch bei geschätzten 30 bis 40 Prozent erforderlich. Neu eingeführt wird, dass alle Gesetze, die die Länder zur Kasse bitten, zustimmungspflichtig werden. Die schwerfällige Rahmengesetzgebung des Bundes wird abgeschafft und die Bereiche auf Länder und Bund verteilt. Grundsätzlich in die Kompetenz der Länder fallen in Zukunft Versammlungsrecht, Strafvollzug, Heimrecht, Ladenschlussrecht, Gaststättenrecht, Spielhallen und Schaustellung von Personen, Messen, Ausstellungen und Märkte, Teile des Wohnungswesens, Grundstücksverkehr und Pachtwesen in der Landwirtschaft, Flurbereinigung, Sport-, Freizeit- und "sozialer" Lärm (Beispiel Biergärten), Besoldung, Versorgung und Laufbahnrecht von Landesbeamten, Hochschulrecht mit Ausnahme der Zulassung und der Abschlüsse sowie das Presserecht. In die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes werden verlagert Waffen- und Sprengstoffrecht, Versorgung von Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen, Erzeugung und Nutzung der Atomkraft, Melde- und Ausweiswesen, Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland und Regelung der Befugnisse des Bundeskriminalamts im Kampf gegen Terrorismus (neue Kompetenz). Nach diesem ersten Reformschritt sollen noch innerhalb dieser Wahlperiode die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern reformiert werden.

AP · Reuters
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