Vor ein paar Wochen hatte Arbeitsminister Franz Müntefering vollmundig angekündigt, noch "mindestens" bis zum 70. Lebensjahr weitermachen zu wollen. Einschränkend fügte der 67-Jährige damals hinzu, es bleibe der Ausgang der nächsten Bundestagswahl abzuwarten. Doch schon jetzt ist es einsam um den Vizekanzler geworden. Im Machtkampf mit SPD-Chef Kurt Beck über eine verlängerte Zahlung des Arbeitslosengeldes an Ältere unterlag der Sauerländer. Welche Konsequenzen er daraus ziehen wird, weiß nicht einmal der engste SPD-Führungszirkel genau.
Dem SPD-Parteitag, der in Hamburg beginnt, wird auch Müntefering mit besondere Spannung entgegenblicken. Er will dort nicht als Verlierer auftreten, als Unterlegener im Machtpoker mit Beck. Nach dem Krisengipfel in Mainz musste der Vizekanzler vergangene Woche seine Niederlage öffentlich einräumen. So versprach der Minister, er wolle sich dem Votum der Partei fügen. "Mehrheit ist Mehrheit in der Demokratie ", betonte Müntefering. "Das ist ganz klar." Dennoch ließ er keine Gelegenheit ungenutzt, um seine "Sicht der Dinge" dazulegen und dafür Beifall zu erhalten. Ohne Beck beim Namen zu nennen, wollte er seine Redebeiträge "als Intervention in eine ganz bestimmte Richtung" verstanden wissen.
Streit über ALG I ist tabi
Im Willy-Brandt-Haus nahm man die Einlassungen von Müntefering mit Stirnrunzeln zu Kenntnis. Auch auf dem Parteitag will Müntefering zu den Genossen sprechen und den Leitantrag "Gute Arbeit" miteinbringen. Der Streit über das Arbeitslosengeld aber soll tabu sein. Er hatte Beck versprochen, in Hamburg nicht nachzulegen. Aller Voraussicht nach wird sich ohnehin eine große Delegiertenmehrheit hinter Becks Vorschlag stellen. Spekulationen über seinen Rücktritt will der Arbeitsminister auch nach der parteiinternen Niederlage gar nicht erst aufkommen lassen. "Ich bin gerne Minister. Ich bin gerne Vizekanzler", stellte Müntefering klar. Doch seine Hand will dafür niemand ins Feuer legen.
Vor fast genau zwei Jahren trat Müntefering überraschend vom SPD-Vorsitz zurück, weil er seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel als Generalsekretär nicht durchsetzen konnte. Die Erinnerung daran ist vielen Genossen noch allgegenwärtig. Als Vizekanzler ist Müntefering der erste Ansprechpartner für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Verhältnis des wortkargen Genossen zu Merkel gilt als eng und vertrauensvoll. In seinem Regierungsamt sieht sich Müntefering als Nachlassverwalter der Agenda 2010, die Bundeskanzler Gerhard Schröder 2003 verkündete hatte. Müntefering, der als das gute Gewissen der kleinen Leute in der SPD galt, ist die Zustimmung zum ungeliebten Agenda-Kurs nicht leicht gefallen. Der damalige SPD-Fraktionschef musste erleben, wie er auf Veranstaltungen ausgepfiffen wurde. Aber bei heiklen Abstimmungen sicherte Müntefering mit seinem autoritären Führungsstil Schröder immer die Mehrheiten. Loyalität stellt Müntefering über alles. Nichts ist dem Vizekanzler so verhasst wie eine Politik nach Stimmungslage.
"Münte" war oft Retter in der Not
Müntefering ist einer der erfahrensten SPD-Politiker. Das Amt des Fraktionsvorsitzenden hatte er im September 2002 von Peter Struck übernommen, der Verteidigungsminister wurde. Als Generalsekretär hatte er sich zuvor bei den Abgeordneten jedoch nicht gerade beliebt gemacht. Im März 2004 übernahm Müntefering dann den SPD-Vorsitz und sprach vom "schönsten Amt neben dem Papst". Vor dem ersten Wahlsieg von Rot-Grün war Müntefering von 1995 bis 1998 Bundesgeschäftsführer der SPD. Dort organisierte er erfolgreiche Wahlkämpfe, die zum Machtwechsel im Bund führten. Schröder machte ihn dann zum Bundesverkehrsminister. Doch als Oskar Lafontaine 1999 überraschend das Handtuch warf, wurde "Münte" an andere Stelle gebraucht. Der "Berufsoptimist" mit den berühmten Drei-Wort-Sätzen wurde Generalsekretär und musste dort als "Zuchtmeister" die Partei auf Regierungskurs halten.