Israel-Streit In Europa wird es einsam um Friedrich Merz

Bundeskanzler Friedrich Merz beantwortet Fragen auf einer Pressekonferenz in Madrid
Kanzler Merz in Spanien: Das Thema Israel spaltet Europa
© Kay Nietfeld / DPA
Friedrich Merz besucht Spaniens Premier Pedro Sanchez. Bei dem Treffen wird deutlich, wie gespalten die EU in Sachen Israel ist. Steht der Kontinent vor einer politischen Blamage?

Friedrich Merz versucht gar nicht erst drum herumzureden. Man teile die Sorge über die humanitäre Lage in Gaza, man teile auch die Kritik an der israelischen Siedlungspolitik. "Es bleibt trotzdem kein Geheimnis, dass wir beide, und ich will es offen ansprechen, daraus verschiedene Schlüsse ziehen." Dann zählt der Kanzler nüchtern auf, was er anders sieht als der Mann, der neben ihm steht, Pedro Sanchez, 53, Sozialist und spanischer Premier. 

Eine Anerkennung Palästinas? Stehe für Deutschland nicht zur Debatte. Den Begriff des Völkermords? Hält der Kanzler nicht für angemessen. Die Differenzen seien "keine Überraschung", sagt Merz trocken. "Das hat auch was mit der deutschen Geschichte zu tun." Noch vor dem gemeinsamen Abendessen ist klar: Partner werden Merz und Sanchez nicht mehr, jedenfalls nicht auf diesem Feld.

Madrid, später Donnerstagabend. Merz ist in die spanische Hauptstadt gekommen, Antrittsbesuch im Moncloa-Palast, dem Sitz der spanischen Regierung. Es ist eine dieser Reisen, bei denen es normalerweise ums Kennenlernen geht, ums gegenseitige Abtasten, freundlich, höflich, oberflächlich. Weil im Moment in Europa allerdings nichts wirklich normal ist, geht es direkt zur Sache. Der Umgang mit Israels Gazakrieg spaltet Europa, und wer wissen will, wie die beiden Pole in der Debatte aussehen, ist in Madrid richtig.

Merz und Sanchez: Zwei Männer, zwei Welten

Sanchez will Israel wirtschaftlich bestrafen, Merz will das vermeiden. Der Spanier will einzelne Minister sanktionieren, der Kanzler hält das für Symbolpolitik. Sanchez bejubelt öffentlich Proteste gegen israelische Sportler, Merz bricht die Stimme bei der Eröffnung einer Synagoge in München. Zwei Männer, zwei Welten. "Kritik an der israelischen Regierung muss möglich sein. Aber wir dürfen nie zulassen, dass sie zur Hetze gegen Jüdinnen und Juden missbraucht wird", sagt der Kanzler in der spanischen Hauptstadt. 

Sanchez soll das wohl als Mahnung verstehen, aber womöglich auch Ursula von der Leyen. Angesichts der israelischen Offensive auf Gaza-Stadt hat die Kommissionpräsidentin gerade einen weiteren Versuch unternommen, um mehr Druck auf die Regierung von Benjamin Netanjahu auszuüben. Sie hat den EU-Staaten vorgeschlagen, israelische Handelserleichterungen zu streichen und Zölle für etwa ein Drittel der importierten Waren aus Israel zu erheben. Ob der Plan so kommt, hängt maßgeblich an Deutschland. 

Für die Umsetzung braucht es die qualifizierte Mehrheit. Heißt: Von den 27 Mitgliedsländer müssten mindestens 15 zustimmen, die zusammen 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung ausmachen. Spanien ist dabei. Die Strategie Israels gegen die Hamas sei falsch, sagt Sanchez. Das Ergebnis werde ein "unsichereres Israel" sein. Ihm würden noch ganz andere Dinge einfallen, um Druck auszuüben. Er würde, so hat er es dieser Tage gesagt, gern auch israelische Sportler von Wettbewerben ausschließen. Ein Boykott vom "Eurovision Song Contest" wird in Spanien ebenfalls diskutiert, sollte Israel dabeibleiben. Hart, härter, Sanchez. 

Wie steht Merz zum EU-Plan?

Merz vermeidet es in Madrid, die EU-Pläne grundsätzlich abzulehnen, aber es wird klar: Viel hält er von ihnen nicht. Dass er die Differenzen zu Sanchez anspricht, ist einerseits erstaunlich offen. Zu häufig hat man in der europäischen Politik den Eindruck, als werde eine Einheit beschworen, die es eigentlich nicht gibt, als würden Fassaden der Freundlichkeit errichtet, obwohl im Hintergrund die Risse nicht zu übersehen sind. Mehr Ehrlichkeit schadet nie, in der Politik ist das wie im wahren Leben. Ja, hier streiten wir, aber auf anderen Feldern gibt es genügend gemeinsame Interessen, bei der Wirtschaft, der Ukraine – so pragmatisch könnte man es sehen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Andererseits ist es erstaunlich, dass Merz nicht einmal versucht, den Anschein zu erwecken, er sei an einem gemeinschaftlichen Weg interessiert. Gaza ist nicht irgendein Thema, in den meisten westlichen Gesellschaften sorgt das brutale Vorgehen der israelischen Regierung längst für Entsetzen. Eigentlich war es sein Anspruch, als Kanzler Europa zu einen, zu führen und dafür zu sorgen, dass der Kontinent in den großen Fragen mit einer Stimme spricht, um machtpolitisch wiederaufzuerstehen.

Und jetzt? Wirkt sein Auftritt wie eine kleine Kapitulation, als wolle er sagen: Auf uns Europäer kommt es doch eh nicht an, da ist es halb so wild, wenn wir uneins sind.

Dass die Israel-Politik sich noch zu einer Blamage für Europa entwickeln könnte, liegt allerdings an allen Beteiligten, nicht nur an ihm. Merz müsste Kompromisslinien suchen, so wie er das im Verhältnis mit den USA seit Amtsantritt macht – das stimmt. Genauso gut könnten die EU-Partner allerdings wissen, dass sämtliche Vorschläge, die in Richtung eines wirtschaftlichen Boykotts gehen, für Deutschland kaum zu machen sind. 

Auch für den Kanzler könnte es blamabel enden

Die Debatte ist vielerorts auch machtpolitisch motiviert. Von der Leyen muss im EU-Parlament um ihre Mehrheit zittern, sie braucht das linksliberale Lager. Sanchez zittert im Grunde seit er 2018 ins Amt kam, um seine Mehrheit. In der Israel-Politik sieht er sich ausnahmsweise mal im Einklang mit einem Großteil der Bevölkerung. 82 Prozent der Spanier sähen in Gaza einen Völkermord, betont der Premier. Da wippt Merz kurz leicht nervös auf und ab.

Im Oktober wird entschieden, beim Europäischen Rat. Das sind noch ein paar Wochen. Es mag unwahrscheinlich wirken, dass sich die deutsche Haltung noch verändert, ausgeschlossen ist es nicht. In Merz‘ Team beobachtet man die Lage in Nahost genau, sollte sich neben dem Gaza-Krieg auch noch die Siedlungspolitik im Westjordanland verschärfen, könnte das ein Anlass sein, sich zumindest Elementen des europäischen Vorschlags anzuschließen, zum Beispiel einer Sanktionierung einzelner Minister. 

Die SPD macht im Hintergrund längst Druck, selbst Manfred Weber, oberster Europapolitiker der CSU, mahnt den Kanzler, die europäische Stimmung nicht zu unterschätzen. Manche Länder, die wie Deutschland skeptisch waren, was eine härtere Gangart gegenüber Israel angeht, signalisierten in den vergangenen Tagen, dass sie umdenken könnten, Italien etwa. 

Und wenn Deutschland am Ende allein mit Victor Orbans Ungarn gegen den Rest Europas stünde? Das wäre auch eine Blamage. Aber eine für den Kanzler. 

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