Die Bühne ist bereitet, und an starken Worten fehlt es nicht. "Wenn wir angegriffen werden, dann werden wir uns zur Wehr setzen mit Mitteln, die wir uns selbst suchen." Er erwarte "einen der größten schwarzen Blöcke, die es je gegeben hat". So spricht der Anwalt Andreas Beuth, der eine von rund 30 geplanten Demos organisiert, seine trägt den freundlichen Namen "Welcome to Hell". Hartmut Dudde hingegen sagt mit feinem Lächeln: "Wir werden das gesamte deutsche Polizeiequipment in Hamburg sehen. Wenn's geht, möglichst zurückhaltend, wenn wir es komplett brauchen, packen wir eben alles aus." Dudde ist der Gesamteinsatzführer der Polizei.
Die Bühne, das ist Hamburg, im Selbstverständnis seiner Bürger die "schönste Stadt der Welt", reich, liberal und weltoffen, aber auch Heimstatt einer so traditionsreichen wie schlagkräftigen linksautonomen Szene. Gegeben wird das Stück "G20", das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, die zusammen zwei Drittel der Weltbevölkerung und fast 90 Prozent der globalen Wirtschaftskraft repräsentieren.

Jedes Jahr findet irgendwo auf der Welt ein solches Schauspiel statt. Doch dieses Mal ist alles anders. Nicht nur wegen einiger zwielichtiger Hauptdarsteller: Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan, die absehbar ihr jeweils sehr eigenes Spiel spielen werden. Und auch nicht nur, weil in Zeiten des Terrors ein Anschlag auf einen solchen Gipfel die Königsdisziplin für Attentäter aller Couleur wäre.
Es ist anders denn je, weil der Schauplatz diesen Gipfel so riskant macht – vor allem für die deutschen Gastgeber. Vor zwei Jahren luden sie die G7 ins abgelegene Hotel Schloss Elmau in den bayerischen Alpen, dahinter hielt ein kaum zu überwindendes Bergmassiv, davor ein kilometerlanger Zaun die Demonstranten ab. Das Treffen der G8 vor zehn Jahren im Grandhotel Heiligendamm sicherten auf der Wasserseite Kriegsschiffe und an Land bis zu drei Meter hohe Stacheldrahtzäune.
"Ich halte den G20-Gipfel für nicht schützbar"
Die nächste Woche aber wird zu einem gewagten Experiment der Chaosforschung: Lässt sich ein Ereignis wie der G20-Gipfel in einer Stadt wie Hamburg überhaupt kontrollieren? Und das "nur einen Steinwurf entfernt", wie linke Aktivisten feinsinnig betonen, von Zentren antikapitalistischer Aktion?
Die Liste der ausgemachten Gefahren ist lang. Die Polizei fürchtet die Sprengung von Funkmasten, die Störung des Polizeifunks, Angriffe auf die Stromversorgung, die Manipulation von Ampeln. Sie fürchtet, dass Massen heliumbefüllter Ballons das Landen von Regierungsmaschinen verhindern sollen. Und dann ist da das schlimmste aller Szenarien, der islamistische Terror. Von Tag zu Tag steigern die Sicherheitskräfte nun ihre Präsenz. Sie lassen Hubschrauber kreisen, Polizeikolonnen durch die Straßen jagen, und die Stadt, so wird geflüstert, sei voll von Geheimdienstlern. Die Botschaft: Wir haben alles im Griff.
Doch es gibt berufene Skeptiker. Michael Knape war Leiter der größten Berliner Polizeidirektion und sicherte schon den Besuch von George W. Bush. Knape sagt: "Ich halte den G20-Gipfel für nicht schützbar", die Entscheidung "für nicht erklärbar". Zu unübersichtlich sei die Stadt. "Wer dann alles schützen will, schützt nichts."

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Dieser Gipfel wird ein Kräftemessen: Wer ist besser organisiert, wer hat die überraschenderen Ideen, wer hat am Ende das Sagen in der Demokratie und in Hamburg, auf das die Welt ein paar Tage lang schauen wird? So bereiten sie sich alle gewissenhaft vor: die Politiker, die Demonstranten, die Polizei – und eine bange Metropole.

Der Bürgermeister
Olaf Scholz schaut vom prächtigen Amtszimmer auf den Rathausmarkt. Es ist nun mehr als eineinhalb Jahre her, dass Merkel ihn anrief und ihre Geburtsstadt Hamburg als Gipfelort vorschlug. Scholz freute sich. "Wir alle wussten: Das wird eine große Nummer" , sagt er.
Scholz gilt nicht als ausgelassener Charakter. Aber kurz vor dem Gipfel wird er überraschend pathetisch. Er erinnert an seine Verpflichtung durch die Verfassung der Stadt, in deren Eingangsformel es heißt, sie habe als "Welthafenstadt" eine "besondere Aufgabe gegenüber dem deutschen Volke zu erfüllen. Sie will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein." Scholz zitiert das mit sichtlichem Stolz. Obwohl er nur eine Stadt regiert, spricht er gern über Weltpolitik und die großen Themen dieses Gipfels: den bedrohten Freihandel, den Klimawandel, die Flüchtlinge und die afrikanische Hungerkatastrophe.
Scholz hat es genossen, als Anfang des Jahres die Bilder der neuen Elbphilharmonie um den Planeten gingen. Nun wird der Bürgermeister in der Philharmonie neben Merkel stehen und die wichtigsten Staatschefs zum Konzert begrüßen – und die Fernsehsender der Welt werden diese Bilder senden.

Das ist das Schöne für Olaf Scholz. Über das Hässliche, das der Gipfel mit sich bringen kann, redet er wieder ganz nüchtern. Erstens: "Ein Ereignis dieser Größe schaffen nur wenige Städte in Deutschland: Berlin, Hamburg oder München. An anderen Orten müsste man ja gigantische Zeltstädte in die Landschaft bauen." Zweitens: "Unserer Polizei kann man trauen. Das sind Leute mit einer sehr guten Ausbildung, die alles sehr professionell vorbereitet haben."
Für seine Karriere und den Stolz der Stadt dürfte entscheidend sein: Was wird vom Gipfel in Erinnerung bleiben: die schönen oder die hässlichen Bilder?
Kürzlich stellte die linksradikale Splittergruppe "G20 entern" ein Video ins Netz: Vermummte recken brennende Bengalos in die Höhe, einige tragen Atemschutzmasken oder Enterhaken, dazu basslastiger Rap: "Schmeißen diese Steine auf die Hundertschaft. Und eure Wagen brennen, bleiben sie unbewacht."
Ende März blieb der Fuhrpark der Polizeiwache 23 unbewacht. Vier Mannschaftswagen brannten völlig aus, einige weitere wurden beschädigt. Zu dem Anschlag bekannte sich die Gruppe "Smash G20", sie schickte eine Botschaft mit Rechtschreibfehlern: "Wir wollten uns nicht nehmen lassen, die heissen Tage vor dem Gipfel anzuheitzen."
Die Polizei hat Hunderte Straftaten im Zusammenhang mit dem Gipfel gezählt. Bankfilialen wurden demoliert, Farbeimer auf das Wohnhaus des Chefs der Messe Hamburg geschleudert. Auch in Bremen und Berlin brannten Autos. Und vor zehn Tagen verübte ein unbekanntes Netzwerk Anschläge auf Signalanlagen der Bahn bei Hamburg, in Niedersachsen, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen.
Der Gipfelmanager
Wer zu Wolfgang Schmidt will, muss an Helmut Schmidt vorbei. Der Altkanzler hängt in Öl vor dem Büro des Hamburger Staatsrats in Berlin und guckt streng. Helmut Schmidt hatte in den 70er Jahren gemeinsam mit Giscard d'Estaing die Idee, die Gipfel der weltgrößten Industriestaaten ins Leben zu rufen.
Wolfgang Schmidt ist die Verbindungsperson von Bürgermeister Scholz in die Welt. Er ist "Bevollmächtigter beim Bund, bei der Europäischen Union und für auswärtige Angelegenheiten". G20 ist das größte Ding, das einem in dieser Position passieren kann. Seit Monaten koordiniert Schmidt die Lenkungsgruppe, plant mit dem Kanzleramt, spricht mit Polizei und Gipfelgegnern. Er kennt die Zahlen, mit denen der Gipfel vermessen wird: Bis zu 100.000 Demonstranten werden erwartet, ungefähr 8000 von ihnen gelten als gewaltbereit. Sie will man fernhalten von den etwa 6000 Delegierten; allein die Entourage von Trump könnte 800 Leute umfassen. China und Russland machen es ungern kleiner, die Saudis gern ein bisschen größer; sie bringen sogar ihre eigene Gangway mit, damit der König bequem per Rolltreppe auf deutschen Boden gleiten kann. Hinzu kommen Tausende Journalisten.
Um all diese Menschen zu schützen oder in Schach zu halten, werden mehr als 20.000 Polizisten aus Deutschland und den Nachbarländern in Hamburg im Einsatz sein, unter ihnen Taucher und Scharfschützen, Reiter und Spezialeinheiten.
Sie schlafen in Hotels bis kurz vor Bremen. Es ist für Hamburg der größte Polizeieinsatz aller Zeiten. "Das Gerede vom Ausnahmezustand ist Unsinn" , sagt Wolfgang Schmidt in der demonstrativen Nüchternheit, die man schon von Olaf Scholz kennt. "Wir bemühen uns um Deeskalation." Er will die Gewalttätigen isolieren von denen, die demonstrieren. "Wir müssen verhindern, dass es eine Solidarisierung der friedlichen Demonstranten mit den Straftätern gibt", sagt er. Einen Erfolg konnte er bereits verbuchen: Eine der größten Demos, "G20 Protestwelle", findet schon am Sonntag vor dem Gipfel statt.
7,8 Kilometer Absperrgitter
Um zu verstehen, wie schwierig es ist, dieses Ereignis zu schützen, muss man die Vogelperspektive einnehmen. So machen es angeblich auch die Geheimdienste, es sollen jedenfalls verdächtige Flugbewegungen registriert worden sein. Die Messehallen, in denen sich die Großen der Welt treffen, stehen mitten in der Stadt westlich vom Zentrum mit den schicken Einkaufsstraßen und den Luxushotels. Unmittelbar auf der anderen Seite liegen die links geprägten Stadtteile Sternschanze und Karolinenviertel, in denen die CDU an der Fünfprozenthürde scheitern würde und viele es als unverzeihliche Provokation empfinden, dass man ihnen Trump und Konsorten vor die Nase setzt.

Ankommen werden die Gäste am Flughafen ganz im Norden. Von dort aus müssen die Delegationen mit Autokolonnen durch die Stadt geschleust werden, 42 Konvois, manche mit bis zu 60 Fahrzeugen. Geschleust heißt: Sie sollen nicht ein einziges Mal anhalten müssen, nicht vor einer Ampel und schon gar nicht vor einer Sitzblockade. Am ersten Abend wollen sie in die Elbphilharmonie am Hafen. Und am nächsten Morgen von den Hotels zur Messe. Das gesamte Herz Hamburgs wird also zum Gipfelort.
Die Stadt wird um die Messehallen und die Elbphilharmonie Sperrzonen einrichten, Polizisten bauen dafür geschätzte 7,8 Kilometer Absperrgitter auf, die passenderweise Hamburger Gitter heißen. Passieren darf sie nur, wer in der Zone lebt, arbeitet, dort jemanden besuchen, pflegen oder beliefern will. Außerdem gibt es den "Transferkorridor" – eine Verbotszone, 38 Quadratkilometer, der gesamte Bereich vom Flughafen bis zu den Messehallen. Hier darf man sich bewegen, aber nicht demonstrieren. Denn es gibt ein Schreckensszenario, das Innensenator Andy Grote im Innenausschuss entwarf: "Man möge sich einmal vorstellen, die Kolonne des türkischen Präsidenten mit einer entsprechenden Zahl an auch bewaffneten Personenschützern gerät in eine Kolonne meinetwegen militanter Kurden. Dann haben wir ein Szenario, das sozusagen alles sprengt."
Es klang wie eine dunkle Vision, aber sie wurde drei Wochen später von der Realität eingeholt: Erdogan war zu Besuch in Washington, einer Stadt, der man gewisse Erfahrung mit Staatsbesuchen unterstellen darf. Dennoch stürmten Erdogans Sicherheitsleute auf Demonstranten vor der türkischen Botschaft los. Man sah Anzugträger mit Schnauzbärten völlig enthemmt auf Menschen eintreten und -schlagen. Erdogan stieg aus dem Auto und schaute sich das Ganze aus sicherer Entfernung an. Ein Glück, dass niemand eine Pistole zog.
Die Bilder waren eine Warnung für Gipfelmanager Wolfgang Schmidt: Nie darf es eine direkte Berührung zwischen ausländischen Sicherheitskräften und Demonstranten geben, immer muss die deutsche Polizei dazwischen sein. Das war der Hauptgrund für die Verbotszone, auch wenn sie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aussetzt. "Es sollen alle friedlich demonstrieren können", sagt Schmidt. "Der Staat hat gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden und die Sicherheit gewährleistet ist."
Die Demonstranten
Jana Schneider breitet auf einer Picknickdecke aus, was sie brauchen könnte, um Donald Trump aufzuhalten. Regencape und Schirm gegen die Wasserwerfer; einen Gameboy gegen die Langeweile, wenn sie stundenlang auf dem Asphalt sitzt; eine Spraydose für eine Botschaft von Jana aus Hamburg an die Welt. Sie überlegt noch, was sie schreiben könnte. "Block G20. Ein Selfie für 400 Millionen Euro"?
Schneider und ihre Protestgruppe "Block G20" trainieren an diesem Junitag in einem Park in Lübeck die perfekte Blockade. Sie haken sich unter, zwei mimen die Polizisten und schleifen die anderen über die Wiese. Schneider ist nur 1,60 Meter groß. Es wäre leicht, sie aus dem Weg zu tragen. "Aber das Rezept ist, sich mit Beinen und Armen ineinanderzuhaken", sagt sie. Die 20 jungen Leute üben, zu einem unentwirrbaren Menschenknäuel zu werden. Schneiders kühne Vision: "Dass wir frühmorgens vor den Teilnehmern an der Messe sind, die kommen nicht rein, und der Gipfel wird abgesagt." Sie ist die Sprecherin von "Block G20" , einer Gruppe, die dasselbe Ziel hat wie viele andere: Sie wollen verhindern, dass die Gipfelteilnehmer zum Tagungsort gelangen.

Um das zu verkünden, berufen Demo-Führer zwei Wochen vor dem Gipfel eine Pressekonferenz ein. Sie stehen mit ihren Mikrofonen vor der "Roten Flora", Deutschlands bekanntestem Autonomenzentrum. Von hier aus, nur ein paar Hundert Meter von den Messehallen entfernt, wird ein Teil der Proteste gesteuert. Aber eben nur ein Teil. So unübersichtlich wie dieses Mal war die Gruppe der Gipfelgegner noch nie. Es gibt so viel, wogegen man sein kann. Gegen die Globalisierung, den Tod der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, den Kapitalismus, den Klimawandel. Gegen Waffen. Gegen den Freihandel. Oder auch dafür. Gegen Trump, Putin, Erdogan. Gegen Verbotszonen.
Jede Gruppe definiert sich anders. Manche sehen den Gipfel als Teil der Lösung, so wie Greenpeace oder die Tierschützer vom WWF. Andere, wie Jana Schneider, sehen in ihm das Problem. Sie versteht sich als Teil einer "antikapitalistischen Bewegung" und hält den Gipfel für undemokratisch. Die G20 ziehen Demonstranten aus ganz Europa an. In der Roten Flora sammeln sie Geld, damit Freunde aus Südeuropa, die als besonders radikal gelten, die Reise bezahlen können. Für die Skandinavier ist es ohnehin nicht weit. Die Bundespolizei kontrolliert bereits die Grenzen, um jene aufzuhalten, die man als gewaltbereit erfasst hat.
"Die Nerven werden blank liegen"
Werner Rätz sieht aus wie Gandalf aus "Herr der Ringe", ein sanfter Mann mit weißem Haar und weißem Vollbart. Rätz ist aus Bonn gekommen, um die Proteste vorzubereiten. Er bezeichnet sich als "linksradikal" und "christlich". Er war bei der Jungen Union, beim Kommunistischen Bund, den Grünen, bei der PDS, bei Attac und wurde schließlich Sprecher der antikapitalistischen Protestbewegung Blockupy, die mehrmals das Frankfurter Bankenviertel lahmlegte. Dabei brannten Polizeiautos, es gab Verletzte. Jetzt haben Rätz und sein Bündnis wieder Aktionen geplant. Ob er mit Gewalt rechne? "Ich kann nur für das sprechen, was wir vorhaben. Also nein."
Das klingt friedlich. Aber natürlich gehen die meisten davon aus, dass es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommen wird. Ganz in der Nähe der Roten Flora arbeitet die Anwältin Britta Eder. Sie trägt Jeans, T-Shirt und Turnschuhe. "Die Nerven werden blank liegen", sagt sie. Da könne es schnell passieren, dass die Polizei "überreagiert". Doch dann ist sie da oder ein anderer aus dem 80-köpfigen Anwaltsteam, das die Demos begleitet. Die Szene ist vorbereitet.

Die Strafverteidigerin engagiert sich in einem Verein von Juristen, der die Bürgerrechte gegenüber dem Staat verteidigen will. Schon in Heiligendamm begleitete Eder die Demonstranten. Sie wird in den Tagen eine neonfarbene Weste mit der Aufschrift "Legal Team" tragen.
Eder schaut mit mulmigem Gefühl auf den Gipfel. Sie erinnert sich an die Situation vor drei Jahren, als sich Salafisten und Kurden teils mit Macheten, Messern und Eisenstangen bewaffnet am Hamburger Steindamm bekriegten. Es war eine Straßenschlacht, angefacht durch den Krieg zwischen Kurden und Islamisten in Syrien. Die Polizei brauchte Wasserwerfer und Stunden, um die Prügelei zu beenden.
Auch der G20-Gipfel könnte nun Konflikte, die eigentlich woanders stattfinden, in Hamburg eskalieren lassen – vor allem zwischen Kurden und Türken. Zehntausende beider Volksgruppen leben hier, und Tausende wollen sich aus ganz Deutschland auf den Weg machen.
An der Spitze des Kurdenblocks wird Adalet Sare das Mikro auf dem Lautsprecherwagen halten, der am zweiten Gipfeltag durch Hamburg rollen soll. Sare, 37, ist eine jesidische Kurdin aus dem Stadtteil Altona, sie engagiert sich politisch, seit ihr ältester Bruder 1996 im Kampf der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gegen Soldaten in der Osttürkei ums Leben kam. Sie will Erdogan so nahe kommen, wie es nur geht. Sie will, dass er sie hört.
Adalet Sare ist zu einem Vorbereitungstreffen in ein Wohnheim gleich neben der Kirche St. Michaelis, dem berühmten "Michel", gekommen. Hier mischen sich linke Gruppen mit kurdischen. Sare gehört zum friedlichen Teil der Protestbewegung. Sie hat an die kurdischen Studentenverbände appelliert, sich nicht provozieren zu lassen, auch nicht von Erdogans Sicherheitsleuten oder seinen Fans. Aber sie ahnt, dass alles Mögliche geschehen kann. Es ist einfach schon zu viel passiert. Am 1. Mai wurden türkische Geschäfte im Hamburger Süden angegriffen. Vermummte zerschlugen Scheiben und versprühten Tränengas. Ob unter ihnen Kurden waren, ist unklar, aber der Hass der Protestgruppen vermengt sich auf gefährliche Weise.
Auch da gab es ein nicht fehlerfreies Bekennerschreiben: "Wir haben an einem Ort zugeschlagen wo ihr es nicht erwartet habt. Genauso werden wir es beim G20-Gipfel machen, wenn neben Erdogan andere menschenverachtende Kriegstreibende nach Hamburg kommen."
Die Polizei
Eine Minute. Länger soll es nicht dauern, bis die Spezialeinheiten jeden Ort dieser Stadt erreichen. So hat es der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer angekündigt.
Sein Büro liegt im fünften Stock des Präsidiums im Hamburger Norden. Von seinem Schreibtisch aus schaut Meyer auf den Sitz der Polizei-Gewerkschaft. Auch dort brannte im März ein Transporter. Die Angreifer waren in jener Nacht auch bis ins Viertel von Olaf Scholz vorgedrungen. Danach brannte der Wagen seiner Personenschützer.
Seither ist das Polizeipräsidium mit Stacheldraht gesichert. Private Objektschützer laufen Wache. Echte Polizisten kann Meyer nicht mehr dafür abstellen, sie werden in der Stadt gebraucht. Er hat trotzdem gute Laune und sagt: "Wenn einer das schafft, dann wir."
Meyer führt hinunter in Raum 210. Von hier werden er und sein Führungsstab den Gipfel überwachen. Es sieht aus wie auf der Brücke eines Raumschiffs. Vorn an der Wand formen 16 Monitore einen riesigen Bildschirm, sie werden die hässlichen Bilder zeigen, geliefert von Tausenden Kameras. Viele wurden eigens für diese Tage installiert.
Brennt es auf den Monitoren, schicken sie die Spezialeinheiten los. Und mit ihnen kriegstaugliches Gerät: "Survivor" heißt der neue Panzerwagen der Hamburger Polizei, mit dem Beamte unbeschadet durch einen Kugelhagel fahren können. Der "WaWe10" ist ein moderner Wasserwerfer, der 10.000 Liter Flüssigkeit im Tank hat und Nebelwände aus Wasser erzeugen kann. Rund ein Dutzend Hubschrauber sollen bereitstehen. Es gibt Drohnen für die Luft und Jetskis für das Wasser.

Die Angst vor einem terroristischen Anschlag
Das Kommando hat Gesamteinsatzführer Hartmut Dudde. Ihm wird nachgesagt, dass er die einst zimperliche Hamburger Polizeitruppe auf Zack gebracht habe. Anderswo nennen das Polizisten schon die "Hamburger Linie": nicht lange zögern, bis jemand in Gewahrsam landet.
Dafür wurde ein ehemaliger Supermarkt südlich der Elbe zur Gefangenensammelstelle umgebaut, 50 Einzel- und 70 Sammelzellen. Das Amtsgericht richtet eine Außenstelle ein. Neun Richter haben rund um die Uhr Dienst, um im Schnelldurchgang Demonstranten abzuurteilen. Und aus den Hamburger Knästen wurden bereits Häftlinge in umliegende Bundesländer verlegt, um Platz zu schaffen.
Hartmut Dudde sagt über die kommenden Tage: "Das geht. Das kriegen wir hin, da bin ich mir sicher. Ich kann gut schlafen."
Es bleibt die Angst vor einem terroristischen Anschlag. Die Bühne dafür ist größer denn je. Andererseits wird die Stadt auch besser bewacht denn je, weshalb viele Fachleute das Terrorrisiko niedrig einschätzen. Noch gebe es keine Hinweise auf geplante Attacken, sagt Polizeipräsident Meyer. "Aber es bleibt immer die Gefahr eines Einzeltäters, der sich noch nicht in den Netzen der Behörden befunden hat." Jemand, der das Gebot des "Islamischen Staates" befolgt, möglichst wenig Kontakt mit anderen zu suchen. "Wir können nicht sagen, wir haben keine Terrorgefahr. Wir haben nur keinen Hinweis auf eine ganz bestimmte Tat an diesen ganz bestimmten Tagen."
Vor der Elbphilharmonie fährt ein Boot der Wasserschutzpolizei Patrouille, an Bord Karsten Witt, er führt das Kommando auf Hamburgs Gewässern. Witt schaut auf zur Philharmonie. Bald sitzen dort die Gipfelteilnehmer zu Abend essen und Festkonzert, während er hier draußen die Elbe abriegeln wird. Er kommandiert dann 60 Polizeiboote aus ganz Deutschland, Dutzende Taucher bewachen alles unter der Wasserlinie. Seit Wochen suchen sie die Brücken nach Bomben ab.
Und jeder Gipfelteilnehmer bringt seine eigenen Sicherheitsleute mit. Sie sind für das unmittelbare Umfeld ihrer Chefs verantwortlich, für ihre Autos, die Hotels und das Essen. Tillmann Hahn, ehemaliger Chefkoch des Kempinski Grandhotel in Heiligendamm, bewirtete 2007 die G8-Führer. "Das war fast unterhaltsam", sagt er. "Zuerst kam die Landespolizei und absolvierte ihr Sicherheitsprogramm. Dann kam die Bundespolizei und machte alles noch einmal. Und schließlich kamen die Amerikaner und fingen wieder von vorn an. Niemand hat miteinander geredet, weshalb alles doppelt und dreifach gesichert wurde. Und alle knurrten, die jeweils anderen seien völlig überflüssig, sie hätten die Sache schon im Griff."
Viele Lebensmittel brachten die Gäste gleich selbst mit. Von jeder Speise für US-Präsident George W. Bush, erinnert sich Hahn, wurde vor dem Essen eine Probe genommen. Manches ging "per Eilkurier nach Berlin, wo die Inhaltsstoffe untersucht wurden. Auf meinen Einwand, dass bis zur Feststellung einer giftigen Substanz der Präsident doch längst unterm Tisch läge, hieß es dann: ‚Ja, dann ist er tot, aber wir wissen wenigstens, warum'."
Die verunsicherte Stadt
Oberärztin Judith Röder steht am Eingang der Notaufnahme des Agaplesion Diakonieklinikums Hamburg. Keine andere Klinik liegt näher am Messegelände als ihre, es sind keine anderthalb Kilometer. Gibt es Verletzte, dann werden viele hier angeliefert. Röder wohnt selbst im Schanzenviertel.
Die Notärztin weiß, womit bei Krawallen zu rechnen ist: Kopfverletzungen, Augenverletzungen – besonders durch Tränengas und Wasserwerfereinsätze –, Schürfwunden und Frakturen. "Aber was regelmäßig am 1. Mai passiert, ist natürlich nicht mit dem G20-Gipfel zu vergleichen", sagt sie.

Während des Gipfels arbeiten sie in der Klinik in doppelter Besetzung. Die Röntgenabteilung wird verstärkt, auch der Sicherheitsdienst. Operationen, die warten können, werden abgesagt. Sie haben mehr Verbandmaterial geordert, Tetanus- und Schmerzmittel, Augenspüllösungen, Gerinnungsprodukte und Blutkonserven. "Und zuletzt haben wir auch noch Tourniquets bestellt", sagt Röder. Das sind Abbindesysteme, sie stammen aus der Militärmedizin, mit ihnen kann man Körperteile abbinden, um Verwundete vorm Verbluten zu schützen. Dass die sinnvoll sein können, hätten sie beim Berliner Weihnachtsmarktattentat gelernt. "Wir müssen uns auf schwierige Lagen vorbereiten", sagt Röder, "da können wir Notfallmediziner viel von den Erfahrungen der Bundeswehr lernen." Heute sind die Seminare der Bundeswehrmediziner voll.
Wie schlimm wird es werden? In der Karolinenstraße, direkt gegenüber den Messehallen, leben Moritz und Naima von Ostrowski mit ihrer zweieinhalbjährigen Tochter. Mitten in der Sicherheitszone. Direkt vor ihrem Haus soll es einen Checkpoint geben, schon jetzt patrouillieren Polizisten. Einige Nachbarn haben sich Feuerlöscher gekauft, aus Angst, die Wohnung könne abbrennen. In der Lokalpresse wird die Frage beantwortet, wer für Vandalismusschäden an Autos aufkommt und wann die Hausratversicherung den explodierten Briefkasten übernimmt. Viele Geschäfte werden über Tage schließen, auch in der Hamburger Innenstadt, vielen wird sogar von der Polizei dazu geraten.
Moritz und Naima von Ostrowski sind genervt und wollen über die Gipfeltage bei Verwandten im Norden unterkommen. "Wir sind zu nah dran", sagen die beiden. "Mit Kind ist uns das zu heikel."
Am Samstagabend, wenn die Politprominenz abgereist ist, werden sie zurückkommen in ihre Wohnung und sich abends im Fernsehen die Bilder anschauen, die von diesen Tagen in Erinnerung bleiben werden. Die hässlichen oder die schönen. Moritz von Ostrowski sagt: "Es weiß ja keiner, was passiert."