Geschäftsführender Ministerpräsident Als Krisen-Koch am besten

  • von Hans Peter Schütz
Roland Koch freut sich auf die Zukunft: Er kann handeln, auch ohne Mehrheit im Landtag. Porträt eines "geschäftsführenden Ministerpräsidenten", der nicht daran denkt, sich von SPD, Grünen und Linke vorführen zu lassen.

"Als Krisen-Koch bin ich am besten." Der Originalton Roland Koch bezieht sich nicht auf die aktuelle politische Situation in Hessen. Gesagt hat er es, als ihm, dem leidenschaftlichen und hoch begabten Amateurkoch, ein arger Patzer unterlief. Sein Zander mit Currykruste war ihm unterm Grill schwarz verbrannt. Eigentlich eine hoffungslose Situation, das Menu noch zu retten. Er hat es geschafft.

Denn aufgeben ist nicht sein Ding. Weder am Herd, schon gar nicht in der Politik. Obwohl er dort seit der letzten Hessenwahl eigentlich die Zukunft hinter sich zu haben schien.

"Kochs Machtverfall ist dramatisch"

Hajo Schumacher, Autor der besten Koch-Biografie, sagte stern.de: "Wenn man bedenkt, dass er von Helmut Kohl einst zu seinem Nachfolger als Kanzler und in der CDU ausersehen worden war, dann ist Kochs Machtverfall dramatisch: er ist vom regierenden zum geschäftsführenden Ministerpräsidenten degradiert worden." Schumacher über den Krawall-Wahlkampf, mit dem Koch die absolute Mehrheit verspielt hat: "Die Aktie Koch hat einen ziemlichen Wertverfall erlebt."

Ein Koch am Ende, der am Wahlabend die Chance verpasst hat, das Wahldesaster auf seine Kappe zu nehmen und mit Haltung abzutreten? Daran hat er nie gedacht. Keine Sekunde. Aber gelitten hat der Mann in den Wochen nach der Wahl wie ein Hund. Er war handlungsunfähig. Was macht diese Andrea Ypsilanti? Welches Spiel betreibt sie? Er befand sich auf einer Achterbahn der Gefühle. Übte Wortklauberei in ihren Interviews. Wo, verflucht noch mal, ist ihre Schwachstelle? Musste auf die nächsten Züge dieser Frau warten, die als gleichgewichtig anzuerkennen er sich weigerte. Er war nicht im Spiel. Es schlug ihm aufs Gemüt.

"Jetzt bin ich wieder im Spiel"

Nichts dergleichen wird das Publikum besichtigen können, wenn der "geschäftsführende Ministerpräsident" bald seine Regierungserklärung abgibt. Nicht ein "König ohne Land", als den die hessische SPD ihn gerne verspottet. Kein kleinlauter Wahlverlierer, der mit einer unsäglich populistischen Ausländerhatz von einer absoluten Mehrheit um zwölf Prozent auf einen haarfeinen Vorsprung vor der SPD abgewirtschaftet hat. Und den die im Landtag bestehende rot-rot-grüne Mehrheit mit ihren 57 von 110 Sitzen kleinlaut und bescheiden machen müsste. "Jetzt bin ich wieder im Spiel", freut er sich.

Der Wunschtraum der linken Mehrheit, auf einen gedeckelten Koch zur politischen Treibjagd blasen zu können, wird sich daher nicht erfüllen. Im geschäftsführenden Ministerpräsidenten Koch steckt immer noch der alte Roland Koch. Der hat längst erkannt, dass auch in dieser Funktion erhebliche politische Vollmachten stecken. Das ist fast maßgeschneidert auf den Politiktyp Koch: Er hat jetzt wieder eine Chance und die will er nutzen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Eine spannende Übergangszeit"

"Eine spannende Übergangszeit" sieht er vor sich. "Ein bisschen bunter als bisher" werde es wohl zugehen, sagt er. Damit meint er den täglichen Kleinkampf im Landesparlament. Seine Umgebung erlebt ihn seit Ypsilantis Flop mit Rot-Rot-Grün "ungebremst und ungebrochen". Als einen, der sich "schlicht auf eine Herausforderung der besonderen Art freut." Rein operativ betrachtet, sagt einer, der ihn aus der Nähe beobachtet, findet er die neue Herausforderung sogar spannender als das Verwalten des Landes auf dem weichen Kissen einer absoluten Mehrheit. Die Chance, mit der er im Grund nach dem Wahltag nicht mehr gerechnet hatte, die will er nutzen. Diese Ypsilanti hat er im Hinspiel nicht gepackt. Sich grün deshalb über sich selbst geärgert. Im Rückspiel will er es ihr zeigen.

Er hat im zurückliegenden Wahlkampf schwere Fehler gemacht. Das weiß er. Jetzt gilt für ihn ein Satz, nach dem er schon immer Politik gemacht hat. Es komme nicht darauf an, "dass wir Heilige sind", sondern darauf, "wie wir mit unseren Fehlern umgehen." Sein Selbstwertgefühl ist wieder da. Die innere Sicherheit auch, die bei Koch hoch belastbar ist. Je enger es für ihn wird, sagen Freunde wie Gegner, desto besser ist er. So hat er die schwere Krise der Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU überlebt. Nach seiner Devise: "Wer durch den Strudel schwimmt, schwimmt nicht immer ganz gerade." So zog er vor zehn Jahren die Unterschriftaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft durch, mit der er 1998 das SPD-Stammland Hessen erobert hat.

Ypsilanti-Delle wieder ausgebeult

Koch ist ein hoch rationaler Politiker - so emotional seine Politik zuweilen daher kommt, etwa im letzten Wahlkampf. Er verachtet das Wort von Georges Bataille, wonach ein durchweg stabiler Mensch, der sein Gleichgewicht nicht auch mal opfern mag, ein Toter unter den Lebenden ist. Seine politische Streitkultur ist kühl kalkuliert. Die Ypsilanti-Delle in seiner Selbstwahrnehmung ist wieder ausgebeult, seit sich die Konkurrentin beim ersten Griff nach der Macht gründlich blamiert hat.

Aussitzen kann er. Machtwillen besitzt er im Übermaß. Das hatte schon sein politischer Ziehvater Helmut Kohl an ihm bewundert und der wusste genau, wovon er sprach. Der grüne Politiker von Plottnitz hat Koch einmal den schnellsten Verstand in der deutschen Politik bescheinigt. Ein dogmatischer Konservativer? Nicht ist falscher als dies gängige Koch-Klischee. Viele haben vergessen, dass er sich einmal den links-grünen Sozialrichter Jürgen Borchert in die Wiesbadener Staatskanzlei geholt hat, um sich eine Denkschrift für eine neue Familienpolitik schreiben zu lassen. Kein politischer Gesinnungstäter käme auf diese Idee. Zu seiner Streitkultur gehören, wenn er nur will, auch Charme und Beweglichkeit. Seine Selbstbeherrschung gleich der eines Buddhisten, mindestens.

Erster Test Studiengebühren

Was also kann schief gehen in der politischen Schachpartie, die jetzt in Hessen beginnt? Erster Test ist der Kampf um die Abschaffung der Studiengebühren. Auf eine - ursprünglich geplante - Rückzahlung der bereits gezahlten Gebühren haben SPD und Grüne bereits verzichtet. Der Haushalt 2008 ist längst verabschiedet. Eine Gegenfinanzierung kaum möglich. Die Landesverfassung schreibt aber vor, dass höhere Ausgaben im laufenden Etat durch Einsparungen bei anderen Haushaltstiteln finanziert werden müssen. Das kann sehr unpopulär enden. Also will man die Studiengebühren erst zum Wintersemester 2008/2009 kippen.

Der geschäftsführende Ministerpräsident kann in Ruhe abwarten, wie seine Gegner die von der Verfassung geforderte "präzise" Gegenfinanzierung politischer Vorstöße bewerkstelligen. Außerdem hat er allen Spielraum, wie er die "laufenden Geschäfte" wahrnimmt, die nicht im Landtag stattfinden. Ruft die Opposition deswegen den Staatsgerichtshof an, kann das bis zu einer Entscheidung dauern. Total-Blockade jedenfalls läuft nicht. Und niemand kann die Ministerialbürokratie Kochs zwingen, der Opposition zuzuarbeiten.

"Lust am Opponieren"

Auf hinhaltenden Widerstand wird sich Koch indes gar nicht kaprizieren. Die "Lust am Opponieren" werde ihn nicht überwältigen, hat er bereits wissen lassen. Er will, betont er immer wieder, gestalten, nicht blockieren. Ihn zur "lahmen Ente" zu degradieren, davon träumt die SPD. Ob die Grünen dabei an ihrer Seite bleiben, ist zumindest offen. Er hat sie jedenfalls immer fair behandelt. Ihren Boss Tarek al Wazir nennt er neuerdings einen "netten Kerl". Wenn er nur will, kann Koch ein Charmebolzen sein, was ihm kaum einer zutraut.

Mit Wohlwollen hat Kochs Staatskanzlei ein Programmpapier des grünen Jugendverbands gelesen. Darin steht: "Aus dem Ergebnis der Landtagswahl haben wir gelernt. Unsere Bindung an die SPD war falsch." Entscheidend müsse künftig sein, "in welchen Konstellationen grüne Inhalte umgesetzt werden können". Liebeserklärungen an eine rot-rot-grüne Kooperation klingen anders. "Das sind sehr schöne Bemerkungen", freuen sich Kochs Mitarbeiter. Er selbst sagt, man wolle "neue Wege" suchen.

Eine Chance in diesem nun beginnenden Spiel, das locker ein Jahr dauern kann, gibt Koch auch sein skeptischer Biograf Schumacher. Wenn es Koch gelinge, mit wechselnden Mehrheiten virtuos zu jonglieren und effektiv zu regieren, könne ihm der Wandel vom Betonkopf zum Kooperations-Politiker gelingen. "Dann wäre das derzeitige Blockade-Land Hessen wieder zum Labor Deutschlands geworden, wo neue Konstellationen zuerst probiert werden." Unstrittig ist: Punktgenau denken und pragmatisch handeln, darauf versteht sich Koch. Angela Merkels Segen für die kommenden Operationen hat er auch. Das ist wichtig, um die Ängste und Zweifel in der hessischen CDU, die durchaus vorhanden sind, zu bannen.

Jetzt würden ihn die Hessen wiederwählen

Schwarz-Gelb-Grün. Jamaika will geprobt sein. Roland Koch wird es versuchen. Und wenn es ihm nur über ein Jahr gelänge, könnte der Verlierer von heute der Gewinner von morgen sein. Seine Umfragewerte steigen schon wieder. Gäbe es jetzt Neuwahlen, würden ihn die Hessen zum Ministerpräsidenten wählen. Als Krisen-Koch ist er halt am besten.

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