Gesundheitsgipfel "Einstieg in den dritten Weg"

Die Spitzen von SPD und Union beraten über das Großprojekt Gesundheitsreform. Echte Ergebnisse werden nicht erwartet, aber immerhin zeichnet sich ein Kompromiss ab. Einer, gegen den die SPD-Linke schon mobil macht.

Vor dem Gesundheitsgipfel im Kanzleramt am Mittwochabend schlägt das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos Alarm: Im jetzt vorgelegten "Deutschland Report 2030" heißt es, dass die gesetzliche Krankenversicherung ihre Ausgaben bis 2030 verdoppeln und die gesetzliche Pflegeversicherung ihre vervierfachen werde. Grund sei die demografische Entwicklung, nach der die Lebenserwartung und der Anteil älterer Jahrgänge stark steige.

Laut Prognos rücke damit das Ziel der Koalition, die Gesamtbeitragslast an den Sozialsystemen von derzeit 42 auf unter 40 Prozent zu drücken, in weite Ferne. Das Institut erwartet, dass sich die Beiträge langfristig sogar der 50-Prozent-Marke nähern werde.

Möglicher Kompromiss

Bis Ende 2008 soll die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf einen steuerlichen Ausgleich umgestellt werden. Dies könnte den GKV-Beitrag um rund 1,5 Prozentpunkte entlasten.

Die Kosten für den medizinischen Fortschritt würden schrittweise abgekoppelt vom bisherigen Beitragssystem. Zur Gegenfinanzierung wird über ein kombiniertes Modell aus "kleiner Kopfpauschale" und einer "Gesundheits-Vermögenssteuer" nachgedacht.

Die "kleine Kopfpauschale" liefe zu Lasten des allgemeinen Steueraufkommens. Die "Gesundheits-Vermögenssteuer" würde auf sämtliche Einkünfte und Vermögen ab einer noch zu verhandelnden sozial bemessenen Freistellungsgrenze erhoben.

Die Privatversicherungen würden dazu verpflichtet, jedem unabhängig von der Einkommenshöhe einen Standardversicherungstarif anzubieten, der mindestens den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Dieser Versicherungsschutz dürfte nicht teurer sein als der Höchstbeitragssatz für die GKV.

Medizinische Versorgung wird teurer

In anderen Worten: Die Sozialsysteme und vor allem die Krankenkassen werden in Zukunft deutlich mehr Geld brauchen. Das deckt sich mit den Ankündigungen von Kanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, dass die medizinische Versorgung tendenziell teurer werde.

Schmidt wird auch erstmalig an dem Gesundheitsgipfel teilnehmen, konkrete Ergebnisse werden von dem Spitzentreffen nicht erwartet. Doch laut der "Leipziger Volkszeitung" zeichnen sich einige Vorentscheidungen ab. Erwogen wird bis 2010 ein schrittweiser Einstieg in festgeschriebene Beiträge, eine Art "Gesundheits-Vermögenssteuer" sowie eine "kleine Kopfpauschale".

Das aktuelle durchschnittliche Beitragsniveau zur Krankenversicherung soll dabei die Belastungsobergrenze bilden. Derzeit liegt es bei 13,3 Prozent. Damit wäre auch die Finanzierungsaufteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf festgelegt, die sich die Abgaben dann faktisch im Verhältnis 60 zu 40 Prozent teilen würden.

SPD-Linke protestiert gegen den Kompromiss

Dieser Kompromiss könnte den "Einstieg in den dritten Weg" zwischen Bürgerversicherung und großer Kopfpauschale sein. Sowohl Gesundheitsministerin Ulla Schmidt wie auch die CSU hatten erklärt, angestrebt werde ein Gesundheitskompromiss, der "über diese Legislaturperiode hinaus" haltbar sei.

Gegen diesen, noch nicht einmal beschlossenen, Kompromiss regt sich allerdings bereits Widerstand aus den Reihen der SPD-Linken. Dem stern sagte Andrea Nahles, die auch an dem SPD-Modell der Bürgerversicherung mitgearbeitet hat: "Das wäre der nicht umkehrbare Einstieg in die Logik der Kopfpauschale." "Die SPD macht keine Form der Kopfpauschale mit."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Offen zeigte sich Nahles für einen so genannten Gesundheits-Soli, einen Einkommensteuerzuschlag. Das wäre zumindest gerechter als eine Kopfpauschale. Merkels Anmerkung, die medizinische Versorgung werde tendenziell teurer, bestätige nur das Vorurteil, den Politikern falle nichts ein außer einer Belastung der Bürger. "Wir müssen an die Ausgaben ran", so Nahles.

AP · Reuters
Mit DPA/AP/Reuters