Gesundheitsreform "Bittere Niederlage für die Gerechtigkeit"

Von Hans-Peter Schütz
In einer gesonderten, schriftlichen Erklärung haben drei SPD-Abgeordnete erläutert, weshalb sie die Gesundheitsreform ablehnen. Die Kritik ist dabei so scharf formuliert, dass sie dem Fraktionschef die Zornesröte ins Gesicht treiben dürfte.

Das muss einem Fraktionschef wie Peter Struck weh tun. Mit scharfen Worten haben die drei SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach, Andrea Nahles und Niels Annen am Freitag schriftlich erklärt, weshalb sie gegen die Gesundheitsreform gestimmt haben. Die Reform habe ursprünglich vier zentrale Ziele verfolgt, die jedoch alle verfehlt worden seien, heißt es in einem dreiseitigen Papier der Parlamentarier, das sie nach der Abstimmung im Bundestag zu Protokoll gaben und das stern.de vorliegt. So sei es nicht gelungen, die Beitragssätze der gesetzlichen Krankenkassen zu senken. Auch die Einnahmebasis der Krankenkassen habe man nicht verbreitert. Die Zwei-Klassen-Medizin werde nicht abgebaut, und ein fairer Wettbewerb zwischen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen werde auch nicht geschaffen. "Dass weder die klassisch privat Versicherten noch die Mitglieder im neuen Basistarif in das Solidarsystem einzahlen, ist eine bittere Niederlage für die soziale Gerechtigkeit in Deutschland", schreiben die drei.

23 Abweichler aus dem Lager der Union

Die Schärfe der Kritik aus dem linken SPD-Lager, dem vor allem Nahles und Annen federführend zugerechnet werden, belegt, wie groß der Unmut in den Reihen der großen Koalition über die eigene Reform ist. Zwar führen Kritiker in der Union, wie etwa JU-Chef Philipp Mißfelder, andere Argumente an als die SPD-Linken. Aber dennoch zeigt der gemeinsame Widerstand, dass die Reform von den Koalitionsspitzen eher mit Gewalt als mit überzeugenden Argument durchgedrückt worden ist. Am Mittag segnete der Bundestag die Reform mit 378 Ja- und 206 Nein-Stimmen bei acht Enthaltungen ab. Insgesamt stimmten 43 Abgeordnete von Union und SPD gegen die eigene Regierung. Acht Koalitionsmitglieder enthielten sich, 18 erschienen erst gar nicht zur Abstimmung. 23 Abweichler stammten aus der Union. Neben Mißfelder verweigerten etwa auch Friedrich Merz und Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die Zustimmung.

"Die größten Verlierer sind chronisch Kranke"

Lauterbach, Annen und Nahles monieren in ihrem Papier, dass die auf den Weg gebrachten Einsparungen im System ihrer Ansicht nach in kurzer Zeit verbraucht sein würden. Die lange diskutierte stärkere Steuerfinanzierung sei nicht umgesetzt worden. Ferner werde es dabei bleiben, dass die Privatkassen weiterhin einkommenstarke und gesunde Menschen versichern würden. Diese dürften auch in Zukunft eine bessere Versorgung bei den Ärzten erwarten, schreiben die SPD-Abweichler, die im Plenum selbst am Freitag nicht zu Wort kamen. Zusätzlich schaffe die Reform eine schlechte Ausgangslage für bestimmte Bevölkerungsgruppen, vor allem für chronisch Kranke. Durch den Gesundheitsfonds "werden die Krankenkassen, die viele ältere und kranke Mitglieder versichern, gezwungen, zusätzliche Kopfpauschalen zum allgemeinen Beitragssatz zu nehmen", heißt es in dem Papier. Die Kopfpauschalen zwingen aus der Sicht der SPD-Abgeordneten die Kassen, verstärkt einen Wettbewerb um Gutverdiener und Gesunde zu führen. "Die größten Verlierer sind dabei chronisch Kranke mit geringem Einkommen." Die Reform benachteilige ausgerechnet eine Gruppe von Menschen, die bereits am stärksten benachteiligt sei.

Am Ende ihres Schreibens dringen Lauterbach, Annen und Nahles auf eine sofortige Reform der Reform. Die konzeptionelle Vorbereitung "einer echten Reform für eine bessere Versorgung und eine nachhaltige und gerechte Finanzierung [muss] sofort beginnen."