Mehr als drei Viertel der Bundesbürger lehnen die geplante Gesundheitsreform ab. Wie der stern am Mittwoch berichtete, sprachen sich 78 Prozent von 1008 Teilnehmern der Forsa-Studie dafür aus, die Reform zu stoppen und neu zu verhandeln.
Nach Bekanntwerden der Nachricht nahmen Politiker die große Koalition Stellung. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, Vizekanzler Franz Müntefering, Agrarminister Horst Seehofer und Unions-Fraktionschef Volker Kauder verteidigten die Reform. Kauder klagte, die Menschen würden "auch immer wieder durch Presseveröffentlichungen irritiert". Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) sagte im Deutschlandfunk: "Es gibt ja in Deutschland so einen Hang zu glauben, Kompromisse seien immer faul. Das ist nicht wahr."
"Erkennbarer Unfug"
Ministerin Schmidt wies Schätzungen des SPD-Experten Karl Lauterbach zurück, die Beiträge würden so stark steigen, dass Gutverdiener künftig Beiträge bis zu 700 Euro monatlich für die gesetzliche Krankenversicherung zahlen müssten. "Das ist erkennbarer Unfug", sagte Schmidt der "Zeit". Sie bekräftigte, dass sie die Eckpunkte der Gesundheitsreform eins zu eins umsetzen wolle.
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Doch selbst innerhalb der Koalition ist die Reform umstritten. Kanzlerin Angela Merkel hatte gefordert, die privaten Krankenversicherung (PKV) stärker in den Wettbewerb einzubeziehen. Die CDU-Gesundheitsexpertin Annette Widmann-Mauz sagte dagegen, man habe "kein Interesse daran, die PKV attraktiver oder weniger attraktiv zu machen." Es gibt auch Bedenken in Teilen der Union, dass die SPD über den Gesundheitsfonds eine Art Bürgerversicherung durch die Hintertür einführen könnte.
Streit mit der AOK
Schmidt kündigte an, vor dem Start des Fonds Mitte 2008 werde es "in einzelnen Kassen Beitragssatzanhebungen geben müssen". Die Beiträge würden jedoch nicht stark steigen, weil die meisten Kassen in guter finanzieller Verfassung seien. Schmidt forderte die hoch verschuldete AOK auf, ihre Außenstände rasch abzubauen. Die "Verweigerungshaltung" des Verbandsvorstands drohe "das AOK-System völlig gegen die Wand" zu fahren. Sollte sich die AOK anstrengen, werde die Politik aber notfalls "bestimmte nötige Hilfestellungen" geben. So seinen zum Beispiel bereits 2007 länderübergreifende Fusionen möglich.
Die AOK wies die Warnungen empört zurück. Da der Steuerzuschuss sinke und der neue Finanzausgleich weniger Geld bringe, fehlten in den kommenden zwei Jahren insgesamt etwa 4,6 Milliarden Euro, sagte der AOK-Verwaltungsratsvorsitzende Fritz Schösser. Fusionen brächte da nichts.

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Kuhn spricht von "Murks"
Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn nannte die Reform "Murks". Vor allem der Gesundheitsfonds sei "ein Missgriff, der nicht funktionieren kann". "Ich sage voraus, dass die Beiträge steigen werden mit dem, was die große Koalition vorhat." Die Linksfraktion erklärte: "Dieses stümperhafte Machwerk ist eine Gefahr für das deutsche Gesundheitswesen." Die Regierung solle die Reform auf der Stelle fallen lassen.
Die Beratungen über die Reform sollen kommende Woche intensiviert werden. Dann sollen sich die Gesundheitsexperten mit einem überarbeiteten Vorentwurf für das Gesetz befassen.