Jeder Mensch hat eine Achillesferse. Im wörtlichen Sinne sowieso, aber auch im übertragenen. Also eine Stelle, die die eigene Verwundbarkeit offenbart.
Das gilt auch für Spitzenpolitiker. In Wahlkämpfen, wo die Scheinwerfer quasi 24 Stunden auf sie gerichtet sind, werden solche Stellen oft besonders sichtbar.
Bei Friedrich Merz ist es der Impuls, bei Olaf Scholz die Arroganz. Bei Robert Habeck ist es seine Eitelkeit.
Eitelkeit gehört in der Spitzenpolitik zum Geschäft. Man muss sich inszenieren, um bei den Menschen anzukommen. Aber anders als etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der seine Eitelkeit inzwischen völlig ungeniert in den sozialen Netzwerken auslebt, tut der Grünen-Politiker Habeck so, als wäre ihm dieses Gefühl fern. Als wäre er einfach nur ein bisschen nachdenklicher als seine Polit-Kollegen.
Von Pferdeküssen und Wuschelhaaren
Das wirkt schon schräg, wenn er sich zugleich pferdeknutschend oder gezielt mit verwuschelten Haaren ablichten lässt. Am Montag hat er diese Form der Selbstinszenierung aber zu weit getrieben.
Da twitterte Habeck am Rande der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz ein Foto von sich mit den Worten: "Neben dem offiziellen Teil gab es auch ein paar Momente allein. Ich brauche dazu nichts zu sagen." Zu sehen war Habeck von hinten und aus der Halbferne, wie er einsam an Baracken vorbei schritt.
Harsche Kritik nach Habecks Auschwitz-Post
Auf dem Kurznachrichtendienst X wurde er dafür von vielen Nutzern harsch kritisiert. Einige wiesen darauf hin, dass von "allein" keine Rede sein könne, wenn man sich dabei von seinem Social-Media-Team begleiten ließe. Auch die Optik wurde kritisiert. Und in der Tat erinnert das Foto, sicherlich unbeabsichtigt, in seiner Ästhetik an das legendäre Bild des Künstlers Gottfried Helnwein, auf dem der durch einen Unfalltod früh verstorbene Hollywood-Rebell James Dean scheinbar allein durch die Straßen New Yorks geht.

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Schwieriger als solche Details ist, dass Habeck mit seinem Post seine eigene Intention konterkariert: Statt angesichts der grauenhaften Verbrechen, die in Auschwitz begangen wurden, sich selbst und die eigene Bedeutung einen Moment zurückzunehmen, macht er sich zum Zentrum.
Ein schaler Nachgeschmack
Es gibt Orte, an denen verbieten sich Inszenierungen, jenseits derer, die voll und ganz dem Gedenken der Opfer gewidmet sind. Auschwitz gehört dazu.
Habecks Aktion hinterlässt einen schalen Nachgeschmack: dass es ihm am Ende nämlich mehr um sich und den Wahlkampf als um die Sache geht. Dass er auch anders kann, hat er nach den Hamas-Massakern am 7. Oktober bewiesen. Da veröffentlichte er einen Videoappell, in dem er den richtigen Ton traf. Von Eitelkeit und Inszenierung war dort nichts zu spüren, aber viel von echter Empathie und Gedanken zu dem, was aus den Ereignissen politisch folgen muss.
Die Auschwitz-Inszenierung wirkte unehrlich. Damit schadet sich Habeck am Ende selbst. Und der Sache.