Hartz-IV-Debatte Von der Leyen kritisiert Koch

Der Streit über Reformen am Arbeitsmarkt wird schärfer: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen stellt sich gegen ihren Parteikollegen Roland Koch, der eine generelle Arbeitspflicht von Hartz-IV-Empfängern gefordert hatte. Pauschale Verurteilungen lehnte sie ab.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat mit einem Vorstoß für eine Arbeitspflicht von Hartz-IV- Empfängern Empörung bei Opposition und Gewerkschaften ausgelöst. "Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertige Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung", sagte Koch der "Wirtschaftswoche". Er sprach sich zugleich für höhere Hinzuverdienst-Grenzen aus, um den Anreiz zur Annahme von Arbeit zu verstärken. Die Debatte über eine Hartz-Reform gewinnt nicht nur wegen der Äußerungen des CDU-Vizes an Fahrt.

Von der Leyen: Beschimpfen hilft nicht

Auch der Koalitionspartner im Bund, die FDP, mahnte grundlegende Korrekturen bei Hartz IV an. "Man kann nicht immer nur an diejenigen denken, die Leistungen des Staates erhalten, man muss endlich auch an diejenigen denken, die den Karren ziehen", sagte der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle am Sonntag beim Neujahrsempfang der NRW-Liberalen in Düsseldorf.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bemühte sich hingegen um Schadensbegrenzung nach dem Koch-Vorstoß. "Ich weiß, dass es einige schwarze Schafe gibt, aber deswegen dürfen wir nicht alle Hartz-IV- Empfänger in eine Ecke stellen", erklärte sie am Sonntag in Berlin. "Das Problem lösen wir nicht, indem wir sie beschimpfen". In der großen Mehrheit wollten die Leute aus Hartz IV heraus, könnten aber nicht arbeiten, weil sie keine Kinderbetreuung fänden, weil sie keine Schulbildung hätten oder keinen Beruf.

Wird zu wenig Zwang ausgeübt?

Koch begründete seine Forderung auch damit, dass in vielen Fällen zu wenig Zwang ausgeübt würde, eine Arbeit anzunehmen. Da es in Deutschland notfalls auch ein Leben lang Leistungen gebe, müssten Instrumente eingesetzt werden, "damit niemand das Leben von Hartz IV als angenehme Variante ansieht".

Es könne kein funktionierendes Arbeitslosenhilfe-System geben, das nicht auch ein Element von Abschreckung enthalte. "Sonst ist das für die regulär Erwerbstätigen, die ihr verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen vergleichen, unerträglich." Letztlich müsse "am Ende der Hartz-IV-Reparaturen" die Beschäftigung der Betroffenen höher sein und die Belastung der Staatskasse sinken. "Das wird auch in der CDU keine leichte Diskussion", meinte Koch.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte zu Kochs Vorstoß: "Es wäre nicht schlecht, wenn die Bundesregierung ihre Arbeitspflicht mal aufnehmen würde und dieses Land regieren, statt zuzugucken, wie die Arbeitslosigkeit wächst." Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer sagte der "Welt am Sonntag": "Es ist schon fast unanständig, mit diesem Vorstoß zu suggerieren, dass die Arbeitslosen arbeitsscheu wären." Die übergroße Mehrheit der Erwerbslosen suche händeringend nach anständiger, guter und zumutbarer Arbeit.

"Mittelalterliche" Vorstellungen

Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Klaus Ernst, forderte Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel auf, Koch in die Schranken zu weisen. "Was Koch da absondert, ist mittelalterlich. Wer in die Arbeitslosenabsicherung ein Abschreckungselement einbauen will, riskiert mit voller Absicht, dass Menschen auf der Strecke bleiben."

Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, wandte sich gegen einen Totalumbau der Hartz-IV-Reformen. "Die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt wäre ernsthaft gefährdet, wenn wir die Reformen der vergangenen Jahre zurückdrehen würden", sagt Weise dem "Spiegel". Die nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft warnte davor, bei einer Veränderung von Hartz IV auch die Vorteile zunichte zu machen. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sei richtig gewesen, weil sie den Betroffenen Hilfe "aus einer Hand" gebracht habe, sagte Kraft. Dass es aber Korrekturen an der unter dem damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder verabschiedeten Gesetzgebung geben müsse, sei unzweifelhaft, räumte die stellvertretende Parteichefin Kraft ein.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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In der Debatte geht es auch um die Frage, wie bei Hartz IV mehr Gerechtigkeit geschaffen werden kann. Nach dem Willen von SPD- Generalsekretärin Andrea Nahles sollten Langzeitarbeitslose künftig ihr gesamtes zur Altersversorgung angespartes Vermögen behalten dürfen. Der "Berliner Zeitung" sagte sie, die heutige Anrechnung des Vermögens zur Altersversorgung werde von den Betroffenen, die oft Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hätten, als die eigentliche Zumutung empfunden.

DPA
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