Franz Müntefering will zugunsten von Bildung und Forschung mehr Schulden machen. Dazu soll der europäische Stabilitätspakt ausgesetzt werden. Europa müsse sich entscheiden, ob es seine Ausgaben für Forschung und Bildung bis 2010 auf drei Prozent steigern oder den Wachstumspakt mit einer erlaubten Neuverschuldung von drei Prozent einhalten wolle, "beides scheint im Moment nicht mehr harmonisierbar", sagte der SPD-Vorsitzende.
Wenn Europa bis 2010 die größte und dynamischste Wachstumsregion werden wolle, müsse Wert darauf gelegt werden, solche Wachstumsimpulse in Forschung und Bildung zu geben: "Darüber muss man nun sprechen, und die notwendigen Entscheidungen müssen gefällt werden."
In Brüssel beraten zurzeit die EU-Finanzminister über die Lage der Haushalte. Nach Einschätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird Deutschland 2005 mit einem Defizit von 3,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts erneut den Stabilitätspakt verletzen.
Haushaltslücke in Höhe von 15 Milliarden Euro
In Eichels Plänen für den Haushalt des kommenden Jahres klafft derzeit eine Finanzlücke von bis zu 15 Milliarden Euro. Als Ergebnis der Steuerschätzung, die am Dienstag in Gotha begann und deren Ergebnis am 13. Mai veröffentlicht werden, erwarten die Experten des Bundesfinanzministeriums Mindereinnahmen von 8,5 Milliarden Euro. Bis 2007 sollen die Ausfälle auf insgesamt rund 50 Milliarden Euro steigen.
Die OECD pocht darauf, den Stabilitätspakt einzuhalten. "Es muss weiter gemacht werden mit der fiskalischen Konsolidierung, und es muss auch nachgelegt werden", fordert OECD-Deutschland-Experte Eckhard Wurzel mit Blick auf die Debatte um weitere Einsparungen der Regierung. Gezielte Ausgabenbeschränkungen wie Subventionsabbau verknüpft mit weiteren Strukturreformen seien auch kein Wachstumshindernis.
Aus dem Finanzministerium ist zu hören, dass die Bundesregierung an ihren Zusagen an die europäischen Partner festhalte, zumindest Ende des kommenden Jahres unter drei Prozent zu kommen. Deutschland brauche jedoch die Freiheit, seine Politik so zu gestalten, dass das Wachstum nicht abgewürgt werde. Bei der Aufstellung des Etats für 2005 sei es deshalb möglich, das Defizitkriterium zu verletzen.
Eichel will nicht noch mehr sparen müssen
Finanzminister Eichel hat neuen Sparanstrengungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings eine klare Absage erteilt. Der wirtschaftliche Aufschwung sei zwar erkennbar, sagte Eichel bei dem EU-Treffen. Dieser sei aber noch nicht "so stark und robust", dass die Bundesregierung wieder einen strikten Konsolidierungskurs verfolgen könnte. Dies jedoch als Kurswechsel zu beschreiben, sei "absoluter Unsinn", so Eichel.

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Zugleich räumte der Minister ein, dass Deutschland auch im nächsten Jahr gegen den Euro-Stabilitätspakt verstoßen könnte. Es sei möglich, dass der Staatshaushalt 2005 erneut eine Neuverschuldung von mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufweisen könnte. Konkrete Angaben dazu könne er aber erst nach der Steuerschätzung am kommenden Donnerstag machen.
Am Rande des Brüsseler Treffens habe Eichel bereits mit dem zuständigen EU-Währungskommissar Joaquin Almunia über den deutschen Haushalt 2005 gesprochen und "Verständnis dafür gefunden", dass die Bundesregierung Schwierigkeiten habe, die gesteckten Ziele zu erreichen. Sollte die Neuverschuldung des jetzt aufzustellenden Haushalts 2005 tatsächlich über der Drei-Prozent-Marke liegen, hätte die Bundesregierung dann aber anderthalb Jahre Zeit, um dies bis Ende 2005 zu korrigieren.
Eichel und Müntefering auf einer Linie
Eichel sehe grundsätzlich keine Unterschiede zwischen seiner Position und der des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering zum Stabilitätspakt. "Es gibt keine unterschiedliche Haltung von Franz Müntefering und mir zum Stabilitätspakt. Wir wollen keine Änderung des Abkommens, aber "es komme auf die richtige Anwendung des Paktes an."
Die Grünen-Haushaltsexpertin Antje Hermenau sagte zu den Äußerungen des SPD-Chefs: Man müsse die Haushalte sanieren, "damit wir in der Lage sind, in schlechten Zeiten trotzdem die Rente zu bezahlen". Von einem Kaputtsparen könne überhaupt keine Rede sein: "Wir haben ein paar kleine Ausgabenbegrenzungen vorgenommen, das Abendland ist nicht untergegangen."
Kontrolle über Staatsfinanzen verloren
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos, erklärte, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Eichel hätten die Kontrolle über die Staatsfinanzen völlig verloren. Mit dem sich abzeichnenden Finanzdesaster verliere Deutschland vollends seine haushaltspolitische Glaubwürdigkeit. Nach Worten des FDP-Wirtschaftsexperten Rainer Brüderle sichert nur das Einhalten des Stabilitätspakts die Wachstumschancen in Deutschland. Deutschland brauche ein Sparpaket von zwölf Milliarden Euro, das mit einer Kürzung aller Subventionen um 20 Prozent erreicht werden könne.