Nach knapp einem Monat Verhandlungen ist das Urteil im Haller Prozess gegen Björn Höcke gesprochen. Der Vorsitzende der Thüringer AfD wurde vom Landgericht zu 13.000 Euro Geldstrafe verurteilt, weil er im Mai 2021 eine öffentliche Rede mit den Worten "Alles für Deutschland!" beendete. Dieser Satz war auf dem Dienstdolch der SA (Sturmabteilung) der NSDAP eingraviert. Nach Ansicht des Gerichts hatte Höcke damit bewusst die "Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" verwandt und sich damit strafbar gemacht.
Höcke stilisiert sich nach dem Urteil als politisch Verfolgter. Er habe die verbotene NS-Parole nicht wissentlich genutzt. Das Gericht glaubte Höckes Beteuerungen nicht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. So kommentiert die deutsche Presse seinen Fall:
Der Geschichtslehrer Björn Höcke will nichts gewusst haben
"Berliner Morgenpost": "Es ist ein Urteil mit Strahlkraft: Der deutsche Staat steht nicht achselzuckend daneben, wenn neurechte Politiker altrechte Parolen skandieren. Und 'Ich hab's nicht gewusst' zu rufen, zieht als Argument in solchen Fällen vor Gericht nicht. Das ist gut so. Ein gewisses Grundwissen über die Geschichte des Nationalsozialismus kann in Deutschland erwartet werden. Dass nun ausgerechnet der ehemalige Geschichtslehrer Björn Höcke das nicht gewusst haben will, ist eine besondere Pointe dieses Skandals."
"Südwest Presse" (Ulm): "Björn Höcke wurde zwar zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt, aber verloren hat der Thüringer AfD-Chef den Prozess vor dem Landgericht Halle aus seiner Perspektive trotzdem nicht. Er wird die 100 Tagessätze à 130 Euro gerne bezahlen, weil ihm die Verhandlung Anerkennung in rechtsextremen Kreisen beschert hat – und weil er das freiheitlich-demokratische System, das er ablehnt, ein bisschen lächerlich machen konnte. Er, der Geschichtslehrer, der sich mit perfider Freude dem Sprachduktus der Nazis bedient, will nicht gewusst haben, dass 'Alles für Deutschland' eine zentrale SA-Parole war? Klar, und der Papst ist Atheist."
"Süddeutsche Zeitung" (München): "Der Rechtsstaat zeigt mit dem Urteil von Halle, dass er sich nicht von scheinheiligen Ausflüchten blenden lässt. Aber Worte sind für Höcke nur der erste Schritt. Es gehört zur Strategie der Neuen Rechten und ihrer Vordenker mit Intellektuellen-Attitüde, die Grenzen zu verschieben. Zuerst die Grenzen des Sagbaren, später die Grenzen des Machbaren. Höcke redet nicht nur wie diejenigen, die Deutschland ins dunkelste Kapitel geführt haben. Er will auch Politik machen wie sie, wenn er erst mal an der Macht ist. Das sollte keiner seiner Zuhörer vergessen."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Man kann über die Grenzen und Sinnhaftigkeit des Strafrechts gerade mit Blick auf solche Kennzeichen streiten. Aber es waren gerade die Feinde der Nation, die sich national nannten. Diejenigen, die Deutschland im Namen führten, stürzten das eigene Land in den Abgrund. Sie verführten viele dazu, buchstäblich alles zu geben. Wer sich heute an solche Vaterlandsverräter anlehnt, richtet sich selbst."
"Allgemeine Zeitung" (Mainz): "Das ist nicht das Jahr der AfD, es ist das Jahr ihrer Entzauberung. Da sind die öffentlich gewordenen Fantasien um eine 'Remigration' von Einwanderern. Die Aufdeckung eines mutmaßlichen Spions beim Spitzenkandidaten für die Europawahl und das Urteil aus Münster, wonach die Partei zu Recht vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird. Und nun folgt der Schuldspruch gegen Björn Höcke. Zumindest ein erklecklicher Teil der AfD steht dagegen nicht auf dem Boden der Verfassung. Selten zuvor aber hat man das in solch einer Deutlichkeit vor Augen geführt bekommen."