Einen größeren Fehler können türkische Verbände gar nicht machen, als den Integrationsgipfel zu boykottieren. Sie signalisieren damit lediglich, dass sie die Bundesrepublik nicht - oder immer noch nicht - begriffen haben. Bundestag und Bundesrat haben ein Zuwanderungsgesetz beschlossen, exakt entlang den Regeln der parlamentarischen Demokratie. Das kann man für falsch halten und das laut sagen. Man kann dagegen das auch Verfassungsgericht anrufen. Oder an den Bundespräsidenten appellieren, das Gesetz wegen vermeintlicher verfassungsrechtlicher Bedenken nicht zu unterzeichnen. Es ist auch durchaus erlaubt, einzelne Bestimmungen des Gesetzes lautstark zu kritisieren.
Wer boykottiert, kneift
Aber: Es ist schlichtweg dumm, sich in einen Boykott zu flüchten. Boykott ist unpolitisch. Wer boykottiert, kneift. Wer boykottiert, entzieht sich dem Dialog, der strittigen Diskussion. Der setzt sich in die Schmollecke, der spielt beleidigte Leberwurst. Weil er der Kraft der eigenen Argumenten nicht traut?
Was denn ist der Kern des türkischen Zorns am Zuwanderungsgesetz? Es verlangt von türkischen Frauen, die in die Bundesrepublik kommen, um hier einen Türken zu heiraten, Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Das wird in der Tat von einer Isländerin, die einen Deutschen heiraten will, nicht verlangt. Zu Recht, denn sie heiratet in eine Ehe, in der deutsch gesprochen wird. Wenn aber türkische Frauen im Wege der Heiratsmigration in die Bundesrepublik kommen dürfen, dann muss dieselbe Bundesrepublik auch dafür sorgen, dass sie in der Lage sind, ihre Rechte und ihre Gleichberechtigung wahrzunehmen. Deutschkenntnisse sind in ihrem Interesse. Viele türkische Männer in Deutschland sind immer noch entfernt davon, dies zu akzeptieren. Ihnen passt gut, dass die Ehefrau kein Wort Deutsch spricht.
Einige Funktionäre türkischer Verbände beklagen jetzt larmoyant einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dass der in der alltäglichen Praxis türkischer Familien in aller Regel vielfach gröblich missachtet wird, stört sie wenig. Dass manche türkische Frauen auch nach 30 Jahren in der Bundesrepublik kein Wort Deutsch sprechen, kümmert sie ebenfalls nicht. Lieber diffamieren sie notwendiges staatliches Handeln jetzt als rassistischen Angriff auf ihre Kultur.
Dabei geht es im Kern um zwei eigentlich unstrittige Dinge. In der Bundesrepublik kann nicht heiraten, wer jünger ist als 18. Insoweit ist die Festlegung auf mindestens 18 Jahre auch bei der Heiratsmigration völlig korrekt. Es soll doch keiner so tun, als ob es die Erniedrigung der Zwangsheirat nicht gebe. Und was ist denn daran unzumutbar, wenn von türkischen (übrigens auch thailändischen) Frauen 200 bis 300 Worte Deutsche verlangt werden? Das ist eine eher symbolische Forderung. Das wird jede türkische Frau akzeptieren, die der Liebe wegen nach Deutschland strebt und nicht per Zwangsheirat gezwungen wird.
Der Versuch, die Gleichberechtigung auszuhebeln
Das Gesummse der türkischen Verbände, mit dem sie die Bundesregierung unter Druck setzen wollen (und dem diese sich unter keinen Umständen beugen sollte), darf keinen Erfolg haben. Hier wird versucht, die offene deutsche Gesellschaft, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, auszuhebeln. Diesem Druck muss widerstanden werden. Die Kräfte, die hier zum Protest eingesetzt werden, wären an anderer Stelle weitaus nützlicher: Bei der Forderung, Kinder mit Migrationshintergrund im Bildungssystem so zu fördern, dass sie bereits vor der Einschulung systematisch Sprachunterricht bekommen. Dass endlich die Zahl jener Migrantenkinder, die ohne Abschluss die Schulen verlassen, sinkt. Dass Jugendliche mit türkisch klingenden Namen bei der Bewerbung nicht länger diskriminiert werden. Die Integration scheitert an diesen Bedingungen. Es muss also um Verbesserungen der Lebenschancen der Migranten hierzulande gehen. Boykott wegen der Pflicht, ein paar Brocken Deutsch zu lernen, ist das völlig falsche Rezept.