Es war das Zuwanderungsgesetz, erst jüngst vom Bundesrat absegnet, worüber sich die einige Vertreter der Türken in Deutschland mokieren und deswegen den nun stattfindenden Integrationsgipfel boykottieren. Diskriminiert fühlen sie sich, sagen ihre Sprecher. Wegen der Auflage, dass etwa Ehefrauen, die aus der Türkei stammen, schon vor der Einreise ein paar Brocken Deutsch können müssten - Amerikaner oder San-Marinesen hingegen nicht.
Trotz der Absage der vier Verbände, gibt man sich im Kanzleramt unbeeindruckt. "Der Gipfel findet statt", sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, aber natürlich stehe die Tür weiterhin für alle offen.
Doch: Was genau ist der Integrationsgipfel? Was hat es mit dem "Nationalen Integrationsplan" auf sich? Und wen hat der Gipfel dabei im Visier? stern.de hat in einer Liste die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengestellt.
Um was geht es bei dem Integrationsgipfel?
Mit dem Spitzengespräch will Kanzlerin Angela Merkel die Eingliederung von Immigranten und ihrer Familien verbessern. Dazu hat die Bundesregierung den "Nationalen Integrationsplan" mit 400 Selbstverpflichtungen beschlossen. "Wir haben es zu lange zugelassen, dass sich Parallelgesellschaften ausbilden konnten, wir haben auch manchmal weggeschaut. Das muss ein Ende haben", sagte die Regierungschefin jüngst in einem Interview.
Was sieht der Nationale Integrationsplan genau vor?
Die Bundesregierung will künftig 750 Millionen Euro pro Jahr in die Integration von Ausländern investieren. Zu den zehn Leitlinien gehören die enge Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen, wichtigen gesellschaftlichen Gruppen und Migranten, und die Förderung von Frauen und Mädchen aus Zuwandererfamilien. Die Integrationskurse werden von 600 auf 900 Stunden erweitert, ebenso wie die berufsbezogene Sprachförderung von Ausländern. Mit der Initiative "Aktiv für Ausbildungsplätze" wollen Bundesregierung, DIHK, Handwerkskammern und die deutsch-ausländischen Wirtschaftsverbände zudem bis 2010 etwa 10.000 zusätzliche Ausbildungsplätze bei Unternehmern ausländischer Herkunft schaffen. Der Bund fördert auch die Integrationsinitiativen mit dem Programm "Integration durch Sport" und der Kampagne "Integration Wir machen mit".
Wen genau hat die Regierung dabei im Auge?
In Deutschland leben rund 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Türken stellen mit gut einem Viertel die größte Gruppe unter den 6,7 Millionen Ausländern in Deutschland. Hinzu kommen noch hunderttausende Eingebürgerte.
Wo liegen die Probleme?
Vor allem die Themen Bildung, Zuwanderung und Sprache beschäftigt den Integrationsgipfel. Einwanderer und ihre Familien fehlt es überdurchschnittlich oft an Schulbildung, was auch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert - entsprechend hoch ist der Anteil ausländischer Arbeitsloser. Auch mangelnde deutsche Sprachkenntnisse stellen die Migranten häufig vor Probleme. Vor allem die oft aus der Türkei "geholten" Einwanderer-Ehefrauen haben deshalb Schwierigkeiten sich in Deutschland zurechtzufinden.
Wer nimmt am Gipfel teil?
Angela Merkel hatte beim ersten Integrationsgipfel im Juli 2006 den Dialog mit 86 Vertretern von Zuwanderern, Politik, Wirtschaft und Kirchen eingeleitet. Allerdings haben im Vorfeld des zweiten Treffens vier türkische Interessensvertreter ihr Kommen wieder abgesagt (Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland, Türkisch-Deutsche Gesundheitsstiftung, Türkische Gemeinde in Deutschland, Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion DITIB).

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Warum boykottieren die türkischen Verbände das Spitzengespräch?
Hauptkritikpunkt ist das neue Zuwanderungsgesetz, durch das sich die türkischen Verbände diskriminiert fühlen. "Die Verschärfung des Zuwanderungsrechts erschwert den Familiennachzug und die Entscheidung für ein Leben in Deutschland und die Identifikation mit der deutschen Gesellschaft", sagt Faruk Sen, Direktor des Essener Zentrums für Türkeistudien. Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) hat daher Angela Merkel aufgefordert, das Thema Zuwanderungsgesetz zur Chefsache zu machen.
Was genau regelt das Zuwanderungsgesetz?
Die türkischen Vertreter kritisieren vor allem die im Gesetz enthaltenen Regeln für den Familiennachzug. Nachziehende Ehegatten müssen mindestens 18 Jahre alt sein und sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können. Darunter wird ein Grundwortschatz von 200 bis 300 Wörtern verstanden. Mit den Beschränkungen will das Gesetz Zwangsheiraten vorbeugen und die Integration erleichtern. Nach dem Gesetz müssten deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund höhere Anforderungen erfüllen, wenn sie den Ehepartner zu sich holen, als ein anderer Deutscher, so ein Kritikpunkt.
Wie lauten die Reaktionen auf den Gipfelboykott?
Unterschiedlich. Der Forderung, die Kanzlerin solle sich persönlich um eine Änderung des Zuwanderungsgesetzes kümmern, wird von fast allen Seiten abgelehnt. Merkel selbst sagt dazu: "An dem Gesetz werden wir nichts ändern. Aber wir strecken die Hand aus für jeden der sagt, wir wollen auch Kritik vorbringen. Darüber kann man sprechen."
Inhaltliche Kritik an der Kritik kommt vor allem aus Reihen der Union: "Mit diesem Boykott schaden sie sich nur selbst. Schließlich verweigern sie sich ihrer ureigenen Funktion, der Vertretung der türkischstämmigen Bevölkerungsgruppe in Deutschland", sagt etwa der Bundestagsabgeordnete Peter Götz (CDU). Berlins Migrationsbeauftragter Günter Piening zeigt Verständnis für die Position der türkischen Verbände. "Es ist von Seiten der Bundesregierung unterschätzt worden, wie tief verletzt die Migrantenverbände über die nicht gehörten Vorschläge zum Zuwanderungsgesetz gewesen sind", sagte er das Grünen-Mitglied.
Die in der Türkei geborene Frauenrechtlerin Seyran Ates bezeichnete den Boykott als abstrakten Unsinn, kontraproduktiv und kindisch.
Findet der Gipfel dennoch statt?
Ja. Die Bundesregierung zeigt sich von dem Boykott unbeeindruckt. Dieser werde unabhängig von der Teilnahme einzelner Verbandsvertreter "auf jeden Fall" stattfinden, sagte die Integrationsbeauftragte der Regierung, Maria Böhmer. Die Tür für die vier türkischen Verbände bleibe aber natürlich offen, so Böhmer.