Bislang war Karl Lauterbach der eindringlichste Mahner in der Pandemie – für die einen profilierter Corona-Erklärer, für andere schlicht ein Schwarzseher oder einfach eine Nervensäge. Jetzt versucht er es mit Entschlossenheit und Optimismus. "Ein wichtiges Ziel muss sein, die Fallzahlen so stark herunterzubringen, dass wir, ohne die Menschen zu gefährden, Reisen empfehlen können", sagt Lauterbach am Montag mit Blick auf Weihnachten. Wenige Minuten vorher hat der wohl künftige Kanzler Olaf Scholz den Rheinländer im Berliner Willy-Brandt-Haus als nächsten Gesundheitsminister angekündigt.
Auf der kleinen Bühne in der SPD-Zentrale, kündigt er an: "Wir werden den Kampf gegen die Pandemie gewinnen, und für weitere Pandemien werden wir besser gerüstet sein." Die selbstgelegte Latte für Lauterbach liegt also hoch. Er selbst sagt, Impfen werde die zentrale Rolle spielen – "aber nicht nur".
"Es reicht nicht mehr, Forderungen in Talkshows aufzustellen"
So kommentieren die Zeitungen die Ernennung Lauterbachs zum Gesundheitsminister.
"Badisches Tagblatt": "Lauterbach wird sich in dem Haifischbecken Gesundheitswesen vielen Lobbyvertretern aussetzen müssen, die nur das eigene Wohl im Blick haben. Das würden alle vehement bestreiten, aber natürlich werden Ärzteverbände, Krankenkassen, Wohlfahrtsverbände, Pharmabranche, Physiotherapeuten und jeder für sich genommen bedeutende 'Leistungserbringer' Lauterbach nur loben, wenn er die jeweils vorgetragene Position übernimmt. Andernfalls werden sie schnell den Daumen senken. Das deutsche Gesundheitssystem, weltweit anerkannt und bewundert, ist überreguliert. Staatliche Planung und Steuerung stehen privatwirtschaftlichen Interessen und Profiterwartung entgegen. Privat und Staat geht in diesem sensiblen Bereich eben meist nicht zusammen. Lauterbach kann auf sein Fachwissen bauen. Aber was heißt das schon, wenn die Beharrungskräfte und Abwehrkämpfe der Lobbyisten unerbittlich sind? Unter diesen Vorzeichen kann man Lauterbach für sein Amt nur viel Glück wünschen."
"Rheinpfalz": "Seit Beginn der Pandemie ist neben dem bisherigen Minister Jens Spahn kein Gesundheitspolitiker so präsent gewesen wie Karl Lauterbach. Ob in den sozialen Medien oder in Fernseh-Talkshows: Der SPD-Mann teilt unablässig seine Einschätzung zur Corona-Lage. (...) Nun kann und muss Lauterbach zeigen, dass er nicht nur klug daherreden kann, sondern dass er auch in der Lage ist, den Kampf gegen Corona organisatorisch auf die Beine zu stellen. Sein Vorgänger ist da so manches Mal an seine Grenzen gestoßen. Letztlich hat der Sozialdemokrat das Potenzial, einen guten Gesundheitsminister abzugeben. Und er hat das Potenzial, zu Deutschlands größter Nervensäge zu werden. Das eine muss das andere übrigens nicht ausschließen."
"Nürnberger Zeitung": "Lauterbach wird jetzt aus seiner Kassandra-Rolle hinaus- und in die des Krisenmanagers hineinschlüpfen müssen, eine Metamorphose, die vielen zu wünschen wäre, die immer nur über Defizite lamentieren, sich aber einen schlanken Fuß machen, wenn praktische Mitarbeit gefragt ist. Immerhin hat er die passende Vorbildung. Nun muss der neue Gesundheitsminister aber liefern. Viel Zeit hat er dafür nicht."
"Weser-Kurier": "Olaf Scholz geht mit dieser Personalie ein Wagnis ein. Er hat sich mit Karl Lauterbach zwar Fachverstand ins Kabinett geholt, aber auch einen unbequemen Mann, der gerne mahnt und polarisiert. Sollte es Lauterbach aber gelingen, die Corona-Politik wieder auf klaren Kurs zu bringen, wäre das auch ein Triumph für Scholz."
"Allgemeine Zeitung": "Was seine Kritiker anerkennen sollten: Lauterbach hat sich trotz massivster Anfeindungen wie kein anderer der Diskussion gestellt. Auch wenn die Rolle des Dauerwarners eine sehr unpopuläre ist. Er dürfte nun der erste Minister sein, der seine Berufung vor allem seiner medialen Dauerpräsenz verdankt, erst danach seiner Arbeit in Partei oder Bundestag. Es reicht nun aber nicht mehr, Forderungen in Talkshows aufzustellen. Sondern er muss den Kampf gegen Corona von oberster Stelle aus organisieren und kommunizieren – und dabei die Politik, Mediziner und vor allem die Bevölkerung mitnehmen. Beginnend beim Groß-Streitthema Impfpflicht, das er selbst mit angeschoben hat. Quasi nebenbei muss er zudem die grundsätzlichen Probleme wie den Pflegekräftemangel angehen. Dies alles als Herkulesaufgabe zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung."
"Südkurier": "Politisch gesehen ist es eine riskante Entscheidung. Aber am Ende kam Olaf Scholz nicht mehr an ihm vorbei: Karl Lauterbach, Corona-Fernsehprediger der Nation, wird Gesundheitsminister. An seiner fachlichen Eignung gibt es keinen Zweifel: Der SPD-Mann, von Beruf Mediziner, lag in der Corona-Krise mit vielen Prognosen richtig – was CDU-Vorgänger Jens Spahn kaum von sich behaupten kann. Ob Lauterbach für sein schwieriges Amt jedoch das erforderliche Fingerspitzengefühl mitbringt, wird sich erst noch zeigen müssen. Seine Popularität verdankt der 58-jährige Rheinländer vor allem den TV-Talkshows, da er keine Scheu hat, seine Meinung publikumswirksam auf den Punkt zu bringen. Andersmeinende zu ertragen und zu überzeugen, gehört nicht zu den Stärken des neuen Ministers. Diese Aufgabe kommt auf ihn als Chef des Gesundheitsressorts aber zu. Lauterbach wird auch daran gemessen werden, ob es ihm gelingt, den Skeptikern und Neinsagern den Wind aus den Segeln zu nehmen."
"Der neue Tag": "Wer hätte vor gut zwei Jahren geglaubt, dass der Posten des Gesundheitsministers einmal mit der wichtigste bei der Bildung einer neuen Regierung sein könnte? Doch dann kam Corona, und jetzt kann der künftige Bundeskanzler Olaf Scholz gar nicht anders, als Karl Lauterbach ins Kabinett zu holen – trotz etlicher Reibereien zwischen beiden in der Vergangenheit. Als wäre die Bewältigung der Krise nicht schon Mammutaufgabe genug, sieht Lauterbach sich an künftig noch prominenterer Stelle auch der stetig wachsenden Welle aus Wut und Hass aus Teilen der Gesellschaft gegenüber. Umso mehr gebührt ihm Respekt dafür, dass er das Amt übernimmt. Denn in diesen verrückten Zeiten wird jede sachliche Stimme gebraucht."
"Reutlinger General-Anzeiger": "Dennoch ist es nachvollziehbar, dass die Wahl auf Lauterbach fiel. Auch wenn in dieser Personalie eine Gefahr steckt. Wer Gesundheitsminister ist, muss mehr beherrschen, als mit Wissen zu glänzen. Es reicht eben nicht, Studien und Argumente aufzuzählen. Die politische Aufgabe dieses schwierigen Amtes ist es, Menschen für sich einzunehmen, Kompromisse zu schmieden zwischen Ärzten und Verbänden, Ländern und Bund, zwischen der Regierung und dem Parlament. Ob der Einzelgänger Lauterbach dieser Aufgabe gewachsen ist, muss er erst noch beweisen. Darin steckt das Risiko dieser Personalie, aber auch die Chance. Denn zugleich könnte Lauterbach in seinem Amt auch zu einem echten Superminister reifen, der Fachwissen und Umsetzbarkeit ideal vereint."