Kommentar: Kontra Soll die Bundeswehr sofort raus aus Afghanistan?

Anschläge auf deutsche Soldaten, tote Kinder, kein Frieden in Sicht: Der Einsatz am Hindukusch droht zu scheitern. Die Debatte über den Abzug hat begonnen. Winfried Nachtwei, Verteidigungsexperte der Grünen, sieht die militärische Aufgabe in Afghanistan noch nicht als erledigt an.

Der Abzug aus Afghanistan ist für mich kein Tabu. Ein Durchhalten um jeden Preis wäre verantwortungslos. Genauso verantwortungslos aber wäre ein Sofortabzug. Er würde dem Wunsch der großen Bevölkerungsmehrheit und der Regierung in Afghanistan zuwiderlaufen. Die Talibanherrschaft im Süden und Osten, Bürgerkrieg in anderen Landesteilen und ein massiver Destabilisierungsschub in das schwankende Pakistan wären damit programmiert.

Zur Person

Winfried Nachtwei, 62, ist Verteidigungsexperte der Grünen.

Deutschland unterstützt an der Seite der Vereinten Nationen Afghanistan, das nach über 20 Kriegsjahren zerstörte Land aufzubauen und dort eine Sicherheit zu schaffen, die sich selber trägt. Das geschieht aus dem von den UN definierten kollektiven Sicherheitsinteresse, dass Afghanistan nicht wieder der Ruhe- und Ausbildungsraum für Abertausende internationaler Kämpfer und Terroristen wird.

Dringend notwendig ist ein umfassender Kurswechsel

Bis 2005 gelangen wichtige Teilerfolge. Seit 2006 verschlechtert sich die Sicherheitslage, herrscht in vielen Distrikten im Süden und Osten ein asymmetrischer Krieg, sickern Terrorzellen auch in den Norden mit seinen unübersehbaren Aufbauerfolgen ein. Diese Abwärtsdynamik kann nicht mit immer mehr Soldaten und Krieg gestoppt und umgekehrt werden. Dringend notwendig ist ein umfassender Kurswechsel, beginnend mit einer ehrlichen Bilanzierung der bisher fast sieben Jahre und der strategischen Fehler dabei.

Vor allem gegenüber den USA muss durchgesetzt werden, dass alle Streitkräfte nur zur Stabilisierungsunterstützung und zum Schutz der Bevölkerung im Land sind - und nicht wie Besatzer zu einer militärischen Gegnerbekämpfung, die die Gewaltspirale beschleunigt statt bremst. Die Zusammenarbeit mit Stammesautoritäten, die Bekämpfung der Korruption und die Suche nach politischen Konfliktlösungen müssen höheren Stellenwert bekommen. Eine Aufbauoffensive ist notwendig, keine Flucht aus dem Land.

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