Reichlich spät, aber immerhin, beschäftigt sich die SPD-Führung mit dem "Fall" Wolfgang Clement so, wie es bei einem so prominenten Genossen von Anfang an geboten gewesen wäre. Irgendwie scheint man in der Berliner SPD-Zentrale im politischen Tiefschlaf gelegen zu haben, als das Rauswurf-Verfahren begann. Schließlich handelt es sich bei Clement um einen ganz oben in der Hierarchie angesiedelten Genossen. Sprecher für die Parteiikone Brandt war er, Superminister bei Johannes Rau im einstigen SPD-Land NRW, SPD-Ministerpräsident daselbst, schließlich Bundeswirtschaftsminister bei Kanzler Schröder. Clement war es, der die ebenso politisch richtige wie unpopuläre Agenda 2010 umsetzen musste, die heute in einem erheblichen Teil der SPD geradezu verhasst ist. Die politische Lebensleistung dieses Mannes kann jetzt nicht einfach von kleinkarierten Randfiguren missachtet werden.
Es liegt in der Tat im Interesse der SPD-Führung, dass sie sich endlich politisch und nicht mit den Methoden juristischer Prinzipienreiterei mit dem Vorgang befasst. Denn der hier vorliegende Konflikt zwischen der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit einerseits und dem Grundsatz der innerparteilichen Solidarität andererseits ist von Schiedskommissionen nicht zu lösen, schon gar nicht, wenn dabei Figuren aktiv werden können, die noch irgendwelche Uraltrechnungen glatt stellen wollen. Die NRW-Chefin Hannelore Kraft hat den um Clement entfachten parteiinternen Rachefeldzug leichtsinnig laufen lassen. Die hessische SPD-Chefin Ypsilanti mauschelte ebenfalls noch revanchistisch mit, ohne Rücksicht darauf, dass sich eine Partei, die sich so zerstritten aufführt wie die SPD, für die denkbare kommende Neuwahl in Hessen ganz gewiss nicht bei den Wählern empfiehlt.
Also her jetzt mit dem Brückenbauer Hubertus Heil. Leicht wird das Bauwerk nicht zu konstruieren sein, über das die SPD wieder aus dem politischen Sommerloch herauskommt, in das sie - auch wegen eines Mangels an politischer Führung - gestürzt worden ist. Clement dürfte wohl eine Rüge hinnehmen, niemals aber mit einer Entschuldigung zu Kreuze kriechen. Denn so tapfer Parteichef Beck den Konflikt als Ausdruck eines Richtungskampfs in der SPD leugnet, so eindeutig ist dieser Richtungskampf Tatsache. Der Reformkurs der Agenda 2010, für den er sich zu seinen Amtszeiten massiv vom linken Flügel prügeln lassen musste, ist für Clement der Anlass gewesen, sich gegen den Linksdrall der Hessen-SPD zu stellen.
Deswegen hat er eine Nichtwahl von Andrea Ypsilanti als Denkmodell angeregt; direkt dazu aufgerufen hat er gar nicht. Und dieser Reformkurs der Agenda 2010 stammt aus dem Kopf von Frank-Walter Steinmeier, damals Chef des Kanzleramts. Auch Steinmeier steht unverändert zur Agenda 2010, wie er mehrfach versichert hat. Und er ist der Mann, der vermutlich die SPD im kommenden Wahlkampf als Kanzlerkandidat vertreten wird. Wenn die SPD-Spitze zulässt, dass von Clement öffentliche Buße per Schiedskommission verlangt wird, dann steht sie vor einem Eklat, der die ohnehin schon bescheidenen Chancen Steinmeiers noch mehr beschädigen wird. Das wäre dann eine Art indirekter Rauswurf des Kanzlerkandidaten der SPD.