Andrea Nahles hat Kajo Wasserhövel und Franz Müntefering geschlagen. Nun wird der Parteitag sie zur Generalsekretärin küren. Aus Sicht der SPD ist dies eine richtige und wichtige Entscheidung, die eine eigenständige Entwicklung jenseits von Regierungszwängen ermöglicht. Sie zeigt, dass die Genossen in einer großen Koalition nicht nur per Dekret verwaltet werden wollen. Sie bestehen auf einer eigenen, deutlich vernehmbaren, auf einer kämpferischen Stimme, auf einer Fürstin, die mit dem König auf Augenhöhe sprechen kann. Für Parteichef Müntefering ist Nahles' Sieg dabei eine schmerzhafte Niederlage - aber beileibe kein Desaster. Im Gegenteil. Wenn es Nahles gelingt, die neue Trotzigkeit der SPD in eine inhaltliche Neuorientierung zu verwandeln, wird auch Müntefering davon profitieren.
Mit viel Risiko zum Erfolg
Mit der Entscheidung für Nahles hat sich der Parteivorstand gegen das jüngste Münterferingsche Herrschafts-Modell entschieden, das eine enge Verzahnung von sozialdemokratischer Regierungs-Mannschaft und Partei garantieren sollte. Müntefering schwebte eine straffe Führung der Partei aus dem Kabinett heraus vor, ein Machtgefüge, das eng auf seine Person zugeschnitten sein sollte. Dieses Modell ist nun gescheitert. Dieses Scheitern ist ein persönlicher Triumph von Andrea Nahles. Die 35-Jährige hat den Mut aufgebracht, gegen den soeben gekrönten, neu-absolutistischen Herrscher anzutreten. Zudem hat sie es geschafft, eine mehrheitsfähige Koalition aus arrivierten Partei-Have-Beens, jungen Linken und Netzwerkern zu schmieden. Sie hat eine Stimmung aufgegriffen, Parteiflügel integriert und ist über eine hohe Risikobereitschaft zum Erfolg gelangt. Nahles hat sich so den Respekt der Partei verdient. Sie startet nun als Partei-Fürstin in das Amt der Generalsekretärin - selbst wenn einige Delegierte sie auf dem Parteitag noch für ihre Aufmüpfigkeit bestrafen werden.
Inhaltliche Orientierung ist dringend notwendig
Jenseits des persönlichen Erfolgs steht Nahles' Sieg jedoch auch für eine Grundstimmung innerhalb der SPD. Die Partei will sich nicht länger von der Regierungsdisziplin fesseln und knebeln lassen. Sie hat genug von der Schröderschen Taktik, die eigenen Genossen wiederholt durch ultimative Selbstentleibungs-Drohungen auf Linie zu zwingen. Mit der Entscheidung für Nahles macht die SPD klar, dass sie darauf besteht, im kritischen Dialog notfalls auch gegen die eigenen Regierungs-Truppe vorzugehen - auf Augenhöhe. Für die Partei ist das der richtige Weg, denn sie hat einer programmatische Debatte dringend nötig, die es ihr erlaubt, die inhaltlichen Zielsetzungen auch über diese Legislaturperiode hinaus festzuzurren. Die inhaltlichen Irrungen und Wirrungen dieses Sommers, zwischen Schröderscher Reform-Agenda und Heuschrecken-Hetze, haben dramatisch vorgeführt, wie verloren, wie verunsichert die Genossen inhaltlich sind.
Sonderbeauftragte für Befindlichkeiten
Eigentlich hätte die SPD die Niederlage am 18. September verdient und die Selbstreinigung in der Opposition nötig gehabt. Die überraschende Regierungsbeteiligung darf die eklatanten Defizite der Genossen nun nicht überbrücken. Sie braucht dringend eine starke Sonderbeauftragte für Parteibefindlichkeiten. Müntefering hat das offenbar nicht erkannt, andere schon. Nun ist es Nahles' wichtigste Aufgabe, das Bedürfnis der SPD nach Selbstfindung zu befriedigen und die mittel- und langfristige Kursbestimmung der Partei vorzunehmen. Sie hat dabei die Chance, das wieder erwachte sozialdemokratische Selbstbewusstsein heranzuziehen - und eine Partei zu formen, die auch über 2009 hinaus ein eigenes Profil erkennen lässt.
Das Ergebnis ist kein Desaster
Für Müntefering ist das Abstimmungsergebnis unter dem Strich eine klare Niederlage, die Schrammen hinterlässt. Aber das Ergebnis ist kein Desaster. Die Partei weiß, dass sie ohne ihn derzeit nicht kann und auch nicht will. Es hat ihr eher Bauchschmerzen als Freude bereitet, den König jetzt zu ohrfeigen. Nun muss der Partei-Chef die Konsequenzen ziehen. Er muss sich wieder bemühen, die einzelnen Gremien einzubinden - wie er es zuvor immer getan hat. Eine selbstbewusste Partei, die sich ohne sein Zutun programmatisch erneuert, hat für ihn dabei viele Vorteile. Sie erhöht sein Drohpotenzial gegenüber dem konservativen Koalitionspartner, weil er möglichen Neuwahlen selbstbewusster entgegenblicken kann. Auch Kompromisse lassen sich mit Verweis auf eine widerspenstige Basis leichter erzwingen. Um diese Vorteile jedoch nutzen zu können, muss Müntefering die zentrale Botschaft dieses Tages allerdings hören: Von absoluten Königen haben die Genossen genug.