Bahn-Chef Hartmut Mehdorn muss mächtig verzweifelt sein. Anders sind die jüngsten Ausfälle des seit 1999 an der Spitze der Bahn agierenden Mannes nicht zu erklären. Dass er mit einem ausgesprochenen Selbstbewusstsein und einer ordentlichen Portion Temperament ausgestattet ist und beides oft zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort auslebt, ist hinlänglich bekannt. Was er aber jetzt macht, gleicht einem politischen Selbstmord. Jemand, der seine Verbündeten ohnehin an einer Hand abzählen kann, läuft Amok und unterscheidet nicht zwischen Freund und Feind.
Höhere Preise. Weniger Jobs. Mehdorns Einlassungen nach der von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee erzwungenen Tarifeinigung mit den Lokführern machen eines klar: Der Mann hat den Kampf um sein Lebenswerk, eine privatisierte und globalisierte Deutsche Bahn, aufgegeben. Jetzt lautet die Devise: Nach mir die Sintflut.
Der Bund kann sich diesen Affront nicht bieten lassen
Der Bund als Bahneigentümer kann sich einen solchen Affront nicht lange bieten lassen und muss die Konsequenzen ziehen. Es kann nicht sein, dass Mehdorn dem Eigentümer des Unternehmens, bei dem er angestellt ist, offen mit Entlassungen und Preiserhöhungen droht und den gesamten Standort Deutschland madig macht, nur weil er selbstverschuldet in einem Tarifkonflikt den Kürzeren gezogen hat.
Die Tarifeinigung kommt die Bahn teuer, sogar sehr teuer. Die Kosten werden auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag geschätzt. Soll die Bahn, wie vom Bund gefordert, schon jetzt wie eine echte Aktiengesellschaft agieren, muss Mehdorn den zu hohen Abschluss kritisieren und vor über die Maßen steigenden Personalkosten warnen. Nur wer trägt die Schuld daran? Tiefensee, der es nach zehn Monaten leid war und unbefristete Streiks vermeiden wollte? Nein, Hartmut Mehdorn muss sich an die eigene Nase fassen.
Im Kanzleramt hat er kaum Freunde
Mehdorns altbewährte Strategie, einfach mit dem Kopf durch die Wand zu laufen, hat diesmal nicht funktioniert. Und dass hätte er sehen können und müssen. "Konflikte muss man angehen", sagt Mehdorn. Nur hatte er es diesmal nicht mit ein paar renitenten Verkehrspolitikern im Bundestag zu tun, sondern mit einem störrischen Gewerkschaftschef, der sich nicht so einfach kaltstellen lässt. Und auf Verbündete im Kanzleramt konnte Mehdorn diesmal nicht zurückgreifen. Sein Bittgespräch bei der Kanzlerin blieb ohne Erfolg.
Taktgefühl und Diplomatie waren gefragt, Eigenschaften, die in Mehdorns Wortschatz nicht vorkommen. Der Titel seiner im vergangenen Jahr erschienen Biografie bringt seinen Charakter auf den Punkt: "Diplomat wollte ich nie werden". Nur: Ein echter Vorstandsvorsitzender eines globalisierten Logistikkonzerns braucht genau das, um erfolgreich zu sein. Reines Machtstreben und ein übergroßes Ego reichen nicht. Jetzt die Schuld allen anderen zu geben, ist peinlich und zeigt, dass Mehdorn ein schlechter Verlierer ist.
Über Mehdorns Nachfolge wird schon nachgedacht
Schon während der Hochphase des Tarifkonflikts mit den Lokführern hat Mehdorn angeblich seinen Rücktritt in den Raum gestellt. Im Aufsichtsrat soll bereits über die Nach-Mehdorn-Ära nachgedacht worden sein. Nicht zum ersten Mal übrigens. Jetzt wäre es an der Zeit, diese Gedankenspiele in die Realität umzusetzen.
Die große Koalition wird sich aber nicht zu diesem Schritt durchringen. Zu oft hat Mehdorn mit der Politik Katz und Maus gespielt. 2008 soll das Jahr der großen Privatisierung werden, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Kurz zuvor noch schnell den Vorstandsvorsitzenden auszuwechseln, passt da nicht ins Drehbuch, zumal der Mehdorns Vertrag gerade erst verlängert wurde. Aber warum nicht gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und die schon jetzt als gescheitert einzustufende Bahn-Privatisierung absagen und mit einem neuen Vorstandsvorsitzenden einen echten Neuanfang wagen?