25. November. Nicht irgendein Tag. Sondern einer, bei dem man sich ein fettes Kreuz in den Kalender hätte machen können. Denn: Jens Spahn hatte Mitte Oktober verkündet, die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" laufe am 25. November aus. Nun aber ist der "große Tag" gekommen und bei Maybrit Illner spricht Norbert Röttgen von "der dramatischsten Lage, die wir je in der ganzen Pandemie hatten". Und Robert Habeck macht deutlich: "Wir werden die Regierung antreten in der schwersten Gesundheitskrise Deutschlands." Allein: Es hätte vielleicht ganz anders laufen können. Denn, so Habeck weiter: "Wenn wir immer alles richtig machen würden, gäbe es diese vierte Welle nicht."
Bevor man nun Tomaten und Eier auf die Politiker wirft, lässt sich durchaus mal fragen, ob wir Menschen überhaupt Viren so beherrschen können, wie wir glauben. Ob es also genügt, "immer alles richtig zu machen." Denn während im Illner-Talk noch drauflosüberlegt wird, wie gegen die Delta-Variante in 2022 zu Kreuze ziehen, ist die Alarm-Meldung längst da: In Südafrika ist eine neue Variante aufgetaucht, B.1.1.529, mit mutmaßlich mindestens zehn Mutationen. Der dortige Gesundheitsminister Joe Phaahla warnt vor einer "großen Bedrohung".
Es diskutierten:
- Robert Habeck, Politiker, Bündnis 90/ Die Grünen
- Christiane Hoffmann, Journalistin
- Norbert Röttgen, CDU-Politiker
- Henrike Roßbach, Journalistin
- Volker Wissing, FDP-Politiker
Und während sich alles weiter zusammenbraut, muss nachgehakt werden: Macht Olaf Scholz bei der Pandemiebewältigung noch mit oder gerade Pause oder was ist da eigentlich los? Bei der Präsentation des Ampel-Koalitionsvertrags verkündete er, die "Lage tagtäglich beobachten" zu wollen. Ob da noch mehr drin ist? So richtig rund läuft es jedenfalls nicht, weshalb Illner die Sendung betitelt mit "Die Ampel und Corona – im Krisenmodus schon beim Start?"
Weil es sich bei Habeck so anhört, als wolle man noch den Sonderparteitag am 4. Dezember abwarten, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt, interveniert Henrike Roßbach: "Zehn Tage zu schauen, was passiert, geht nicht." Die Bundesländer hätten schon viel früher einschneidende Maßnahmen erlassen müssen. Auch Röttgen drängt: "Wir haben keine Zeit mehr." Ginge es nach ihm, müssten schärfere Maßnahmen greifen. Die Noch-Kanzlerin und der neue Kanzler sollten vor die Bürgerinnen und Bürger treten und eine entsprechende Ansprache halten.
Vertrauliches Gespräch mit der Kanzlerin
Kommt der Lockdown, Herr Habeck? Sie haben doch mit der Kanzlerin gesprochen, worüber genau? Illner will eine Antwort, bekommt aber keine. "Ich könnte darüber reden", meint der Grünen-Politiker nur. Gespräche mit der Kanzlerin seien jedoch vertraulich. Und Lockdowns übrigens alles andere als "trivial" – er sehe eine "Restchance", mit "milderen Mitteln" vorzugehen. Volker Wissing verweist auf eine "schockierende Entwicklung" im Corona-Geschehen und macht deutlich, dass er nicht verstehe, worauf gewartet werde. Alle Länder hätten genug Instrumente, um einzugreifen. Man könne Kontaktbeschränkungen und Verbote großer Veranstaltungen erlassen. Sein Appell: "Schöpfen wir aus, was geht."
Wie konnten wir in diese Pandemie-Lage überhaupt hineingeraten? "Kein gutes Zeichen für eine neue Regierung", urteilt Illner. Moment, mal. Habeck ist nicht damit einverstanden, dass die Ampel nun als Buhmann herhalten muss. Er besteht darauf: "Wir sind ja alle keine Vollidioten." Die noch amtierende Regierung habe schließlich die bisherige Corona-Politik zu verantworten: "Als Opposition haben wir nicht hinter die Kulissen schauen können." Man hätte unter anderem keinen Einblick in den Vorrat an Impfdosen bekommen. Röttgen wiederum wehrt sich: "Auch die neue Regierung macht Fehler."

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Er räumt aber ein, dass Jens Spahn zwar gute Arbeit, aber auch Fehler gemacht habe. Noch ist das Hick-Hack zwischen den beiden moderat, gegen Ende der Sendung geraten sie sich allerdings heftig in die Haare; es wird laut und geht durcheinander. Röttgen: "Sie tun so als wüssten Sie nichts. Die Zahlen sind allen bekannt." Habeck: "Diese Krise ist nicht eskaliert unter einer Ampelregierung. Spahn ist der amtierende Bundesgesundheitsminister, der permanent falsche Entscheidungen trifft." Röttgen: "Sie sind jetzt in der Verantwortung. Sie können nicht so tun, als wären Sie zwei Jahre im Tal der Ahnungslosen gewesen." Habeck: "Das habe ich nicht gesagt." Und legt unüberhörbar genervt nach: "Jetzt machen Sie hier den Oppositionsclown."
Robert Habeck: "Wir sind träge Wesen"
Illner fasst zusammen, sowohl die gegenwärtige als auch die ins Amt kommende Regierung hätten sich vergaloppiert. Habeck betrachtet das philosophisch: "Woran liegt es? Es liegt am menschlichen Mangel. Wir sind träge Wesen." Um die vierte Welle zu brechen, habe man die Maßnahmen nicht ausreichend oder zu spät genutzt. Das sei auch sonst so gewesen – gemeint ist das Hinterherhecheln der Politik hinter dem Pandemiegeschehen – und das erkläre, "warum wir immer so doof aussehen." Er wirbt um Verständnis für das harte Los von Politikern: Sie würden sich besonders schwer damit tun, Überbringer von schlechten Botschaften zu sein. Illner will was sagen, hebt eine Hand in die Luft, Habeck, ganz im Erklärungseifer, stößt sie mit seiner Hand weg. Es sei nicht leicht, fährt er sinnierend fort, den inneren Schweinehund zu überwinden.
Habeck wird bei Maybrit Illner zum Küchenphilosophen
Bisschen viel Küchenpsychologie auf einmal. Christiane Hoffmann hat genug davon. Sie weist Habeck zurecht: "Man muss als Politiker auch unangenehme Wahrheiten aussprechen und die Maßnahmen ergreifen, die nötig sind." Das sei die Definition von politischer Führung. Überdies: Es hätten ausreichend Experten "sich den Mund fusselig geredet", man sei also gewarnt worden. Sie verstehe es einfach nicht: "Was hat Herrn Scholz daran gehindert, sich hinzustellen und zu sagen, Achtung, wir laufen in eine schwierige Situation?" Die Journalistin legt nach: "Wir haben Sie gewählt, dass sie hingucken wie die Lage ist – und nicht dafür, dass Sie träge sind und zögern."
Wie nun will man vor statt hinter die nächste Welle kommen? Man müsse die Pandemie, so Habeck, zum "Alltagsgeschäft" machen, also einen Krisenstab einrichten, gebaut nach dem Modell aus dem Jahr 2015, anlässlich der Flüchtlingswelle, und täglich schauen und sich besprechen, wie die Lage ist, und nicht etwa alle 14 Tage, damit man "nicht vergisst, dass man eine Pandemie hat". Die Pandemie wird also zwischendurch eben mal vergessen? "Dass es diesen Krisenstab noch nicht gibt, ist ein Skandal", wettert Wissing. "Wir müssen versuchen, das Virus dauerhaft zu bekämpfen", holt nun Habeck weiter aus. "Wir müssen mehr impfen." Und wenn das nicht gut laufe, "müssen wir über eine Impfpflicht reden." Aber jetzt doch nicht, wehrt Wissing ab. Man solle sich nicht vormachen, man könne das Problem für den Winter 2021 mit einer Impfpflicht lösen, denn bis der Impfschutz wirke vergingen bis zu sechs Wochen. Die frühere Aussage der FDP – "Es wird mit uns keine Impfpflicht geben" – relativiert Wissing dahingehend, dass er eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für angemessen hält. Und auch für umsetzbar. Eine allgemeine Impflicht hingegen sei verfassungsrechtlich schwierig.