Birgit und Horst Lohmeyer sind aufs Land gezogen, weil sie ihre Ruhe haben wollten. Sie ließen das Hamburger Stadtleben hinter sich und zogen nach Jamel, ein Dörfchen westlich von Wismar. Sie kauften einen alten Backsteinhof, der sich in ein Rondell kleiner Häuser reiht. Rasen in der Mitte. Auf den ersten Blick ist dieses Jamel eine Idylle. Auf den zweiten fallen einem die NPD-Plakate auf, die sich über die Straßenlaternen verteilen und die hier auch hängen bleiben: "Kriminelle Ausländer raus", "Fremdarbeiterinvasion stoppen" schreit es in weißen Lettern auf rotem Grund.
"Eigentlich müssen die hier ja niemanden mehr überzeugen", sagt Birgit Lohmeyer. Jamel ist das wohl bekannteste Nazi-Nest Deutschlands, selbst in San Francisco berichtet man schon darüber. Die Lohmeyers bleiben trotzdem, und damit das auch jeder mitbekommt, veranstalten sie alljährlich ein Musikfestival gegen Rechts. Zum fünften Mal schon. Zwei Tage spielen regionale Rock- und Punk-Bands auf dem Hof. Botschaft: Wir lassen uns nicht unterkriegen.
Plötzlich erstarren die Besucher
Nun ist es wieder so weit, an einem milden August-Wochenende. Kurz bevor das Festival beginnt, fährt plötzlich ein blauer Kleintransporter vor. Die Türen klacken, und sieben muskulöse Männer in schwarzer Kluft steigen aus. Zwei von ihnen haben eine Glatze, auch der Rest ist ziemlich kurzhaarig. Die Besucher erstarren, als sich der Trupp dem Eingang nähert.
"Nachdem im letzten Jahr ein Besucher von Nazis krankenhausreif geschlagen wurde, haben wir in diesem Jahr zum ersten Mal einen professionellen Sicherheitsdienst engagiert", beruhigt Birgit Lohmeyer. Ein Metallzaun und drei Mannschaftswagen der Polizei sorgen zusätzlich für den Schutz der wenigen Gäste. Beim Festivalauftakt sind es nicht einmal 50. "Viele Leute haben Angst herzukommen", sagt Birgit Lohmeyer.
Doch Jamel ist kein Einzelfall, sondern nur ein bekanntes Beispiel der Situation in Mecklenburg-Vorpommern. Als "Klima der Angst" beschreibt Rechtsextremismus-Experte Günther Hoffmann die Situation. "Die Übergriffe auf Campingplätze und die Obdachlosenmorde der neunziger Jahre haben Spuren hinterlassen."
Rechte "Modellregion" in Südvorpommern
Kurz vor der Landtagswahl am 4. September nehmen die Attacken wieder zu: Unbekannte haben die Wahlkampfbüros der demokratischen Parteien mit Farbbeuteln beschmissen. Einmal warfen sie einen Gullydeckel durchs Fenster. In Greifswald wurde ein Jugendlicher zusammengeschlagen, weil er nachts NPD-Plakate heruntergerissen hat. Die Fälle sind nicht aufgeklärt. Doch alle Zeichen deuten nach rechts.
Bei den jüngsten Umfragen landete die NPD fast immer unter der Fünf-Prozent-Marke und würde damit nicht den Wiedereinzug ins Schweriner Schloss schaffen. Doch Hoffmann zufolge sei es töricht, sich auf die Umfragen zu verlassen. "Viele geben bei Umfragen nicht zu, dass sie NPD wählen. Sie wissen, dass es gesellschaftlich nicht erwünscht ist." Die letzte Umfrage vor der Wahl ergab denn auch einen leichten Anstieg auf 4,5 Prozent.
Dass es ruhiger werde um die Rechtsradikalen sei trügerisch, führt Hoffmann aus: "Je höher der Organisationsgrad und je besser die Infrastruktur der NPD, desto weniger Gewalttaten." Während die Zahl der rechten Straftaten und Propagandadelikte in Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren steigt, sinkt die Zahl der Gewalttaten. "Die NPD ist eng verflochten mit den Kameradschaften", erklärt ein Sprecher des mecklenburg-vorpommerschen Innenministeriums, gleichzeitig "versucht die NPD sich ein gut bürgerliches und vor allem straffreies Image aufzubauen".
Besonders düster ist die Lage im Kreis Südvorpommern an der polnischen Grenze, den Nazis europaweit als ihre "Modellregion" preisen. Im Dorf Postlow erreichte die NPD bei der letzten Landtagswahl 38,2 Prozent der Stimmen. Auch im Landkreis holt die NPD hier ihre besten Werte. Die Arbeitslosenquote liegt hier über 20 Prozent - so hoch wie nirgendwo sonst in Deutschland.
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Die NPD wirft braune Bonbons
In dieser Region liegt auch die Kleinstadt Ückermünde. Knapp 10.000 Einwohner leben auf beiden Seiten des Hafenbeckens, in dem kleine Segelboote schunkeln. Der mittelalterliche Marktplatz, teuer saniert, zieht jedes Jahr tausende Besucher an. Die stört es, wenn die Stadt mit NPD-Plakaten tapeziert ist. Oder wenn die Partei wie jüngst beim Floßrennen im Hafenbecken ein Banner entrollt mit der Aufschrift "Handeln oder Untergehen - EU-Wahnsinn stoppen" und dabei braune Bonbons in die Menge wirft, während im Hintergrund "Wer soll das bezahlen" von Jupp Schmitz dudelt.
Unweit des Hafens liegt das Rathaus. Seit 2003 residiert Bürgermeisterin Heidi Michaelis in dem Renaissanceschlösschen. Gäste empfängt die Angehörige der Linkspartei in ihrem geräumigen Büro. Der Boden ist mit Parkett ausgelegt. Die Sessel sind mit edlem Leder gepolstert. Auf die Frage, ob es in Ückermünde ein Problem mit Rechtsradikalen gebe, sagt die klein gewachsene Frau mit festem Blick und ohne zu zögern: "Wir haben ein Problem mit den Nazis."
NPD-Kinderfest
Auf das Hafenfest angesprochen, sagt Michaelis: "Die Leute sollten die NPD-Bonbons einfach zurückschmeißen. Aber das soll ich dann immer machen." Doch das sei nicht immer einfach. Die NPDler hätten sich unter falschem Namen angemeldet. Als Michaelis eine Demonstration der Rechten verbot, hob das Verwaltungsgericht das Verbot wieder auf. Und als die NPD kürzlich ein Kinderfest im Stadtpark veranstaltete, lehnte sie den Antrag auf Kostenerlass ab. Verhindern konnte sie das Fest jedoch nicht.
"Alle Aktionen der NPD hier im Ort, die von der Stadtverwaltung genehmigt werden, sind grundgesetzkonform, folglich muss ich sie dulden", sagt Michaelis. Zumindest die öffentlichen Aktionen der NPD, mit denen sie sich als Kümmerer-Partei inszeniert, so wie das Ückermünder Kinderfest. Doch genau wie der NPD-Fraktionsvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs, hin- und her schaltet zwischen nettem Plausch und rechtsradikalem Kampfgebrüll, hat auch die Landespartei zwei Seiten.
Nazi-Erzieher im Landtag
Tino Müller etwa, Landtagsabgeordneter der NPD, engagiert sich bei den Kameradschaften. Diese rechtsextremen Gruppen sind lose organisiert, Namensregister existieren nicht. So wird es schwieriger, die Gruppe bei Straftaten juristisch dingfest zu machen. Die HDJ hingegen, die Heimattreue Deutsche Jugend, wurde vor zwei Jahren von Wolfgang Schäuble verboten. Tino Müller war einer der Erzieher.
Sein Wahlkreisbüro liegt zwei Straßen entfernt vom Ückermünder Rathaus in einer unscheinbaren Seitengasse. Vor heruntergelassenen Jalousien kleben rechte Hetzplakate an den Fensterscheiben. Müller, gelernter Maurer, ist Sprecher für Arbeitnehmerfragen in seiner Partei. Auf der Homepage schreibt er, dass er "aus eigener Erfahrung weiß, wie verheerend Lohndrücker aus Polen" wirken.
"Die können nur ihre Parolen auswendig"
Dort steht auch zu lesen, dass Müller "in seiner Freizeit auch in Kameradschaften und anderen Initiativen zum Schutz seiner pommerschen Heimat tätig" sei. An anderer Stelle verhöhnt sein Kreisverband den Anwerbeversuch von Verfassungsschützern, die Ende Juli ein NPD-Mitglied in Ückermünde "umdrehen“ wollten. Auf eine Gesprächsanfrage von stern.de teilte der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster mit, Tino Müller sei verhindert.
Das wundert die Bürgermeisterin Michaelis wenig: "Die meisten NPDler sind nicht die großen Sprecher. Die können nur ihre Parolen auswendig."
Die Bürgermeisterin sammelt Drohbriefe
Heidi Michaelis wehrt sich gegen die Nazis, wo sie nur kann. "Wir sind erst richtig aufmerksam geworden, nachdem es ein großes Problem war." Als die NPD das Kino im Ort zu ihrem Veranstaltungszentrum machen wollte, kaufte die Stadt das Gebäude. Und anders als in vielen Orten Mecklenburg-Vorpommerns ahndet Michaelis jeden Verstoß gegen die Plakatiervorschriften im Wahlkampf. "Einmal hat die NPD 17 Plakate zu viel aufgehängt. Nach einer Ermahnung hat sie die wieder abgenommen", erzählt sie. Diesbezüglich sei die Partei "sehr lernfähig". Heute hängen die NPD-Plakate an demokratisch hübsch ausgewogenen Plakatierflächen neben denen der anderen Parteien.
Dass ihre Politik wirkt, merkt Heidi Michaelis an den Drohbriefen, die sie seit ihrem Amtsantritt bekommt und sammelt wie andere Leute Liebesbriefe. "Irgendetwas braucht man ja, um sich aufzumuntern", sagt sie - und lacht.