Debatte um Wehrdienst Warum ich heute mit meiner Entscheidung gegen die Bundeswehr hadere

Beine und Stiefel eines Bundeswehr-Soldaten in Tarnfleck-Uniform stehen vor einem Truppentransporter in Tarnlackierung
Die Bundeswehr verzeichnet einen Bewerberschwund. Dafür steigt die Zahl der Kriegsdienstverweigerer (Symbolbild)
© Mohssen Assanimoghaddam / DPA
Immer weniger Menschen in Deutschland entscheiden sich für den Dienst in der Bundeswehr. Auch ich habe mich damals gegen den Dienst an der Waffe entschieden – und bin angesichts des Ukraine-Krieges nicht mehr sicher, ob das richtig war.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) lehnt eine Wiedereinführung der Wehrpflicht trotz der durch den Ukraine-Krieg veränderten Bedrohungslage ab. "Eine Wehrpflicht-Debatte hilft uns wenig in der aktuellen Situation", sagte Lambrecht den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Es dauert seine Zeit, Soldatinnen und Soldaten auszubilden – unter einem Jahr macht das wenig Sinn." Zudem gebe es weder genügend Kasernen, Ausbilder noch das Gerät für zehntausende Wehrpflichtige.

Laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Montagsausgaben) nimmt die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für die Streitkräfte ab. Die Bewerberzahlen für den militärischen Dienst in der Bundeswehr seien seit Anfang 2022 rückläufig, sagte eine Sprecherin des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr in Köln.

Zahl der Kriegsdienstverweigerer in der Bundeswehr steigt

Zugleich steigt die Zahl der Kriegsdienstverweigerer innerhalb der Bundeswehr laut dem RND-Bericht deutlich an. In diesem Jahr gingen nach Angaben eines Sprechers des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bisher 657 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung ein. Im gesamten vergangenen Jahr waren es demnach nur 209. Viele Antragsteller begründen ihre Verweigerung den Angaben zufolge mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Meine Gedanken gehen seit dem Beginn des Ukraine-Krieges eher in eine andere Richtung: Hätte ich mich nicht 1995 für den Dienst an der Waffe statt für Zivildienst entscheiden sollen? Es war 1995, der Kalte Krieg war vorbei. Die Möglichkeit eines Krieges in Europa erschien mir verschwindend gering. Trotzdem war ich mir sicher: Ich bin nicht bereit, für diesen Staat einen anderen Menschen zu töten oder selbst zu sterben.

Was ist mir Leben in einer Demokratie wert?

Ich kann nicht mehr sagen,  wie oft ich als Jugendlicher Erich Maria Remarques Buch "Im Westen nichts Neues" gelesen habe, das mir das Grauen des Ersten Weltkrieges vor Augen geführt hat. Oder wie oft ich die Fotos der verwundeten und entstellten Soldaten in Ernst Friedrichs "Krieg dem Kriege" angeschaut habe. An Krieg wollte ich auf keinen Fall beteiligt sein – weder als Opfer noch als Täter. Daher war mir mit 18 klar: Zur Bundeswehr gehe ich auf keinen Fall.

Heute denke ich darüber etwas anders. Angesichts der antidemokratischen Tendenzen in Osteuropa und anderen Weltteilen bin ich dankbarer als damals, in einer Demokratie zu leben. Anders als mit 19 nehme ich das als weniger selbstverständlich wahr und frage mich: Ist das nicht auch mehr persönliches Engagement wert, als alle paar Jahre zu wählen? Wäre die Verteidigung von Freiheit und Demokratie es nicht wert, mein Leben zu riskieren, wenn ein diktatorischer Aggressor seine Truppen gegen Deutschland in Marsch setzt? Heute denke ich: Ja, das wäre es mir wert.

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Froh, dass die Entscheidung hinter mir liegt

"Tote Hosen"-Sänger Campino sagte Mitte Mai im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (DPA): "Ich persönlich habe den Kriegsdienst 1983 verweigert. Das würde ich heute, unter diesen Umständen, wenn ich jetzt meine Einberufung bekäme, wahrscheinlich nicht mehr tun".

Mir geht es ähnlich. Letztendlich bin ich aber froh, heute nicht mehr vor der Entscheidung "Wehrdienst oder Zivildienst?" zu stehen. Denn angesichts der aktuellen Lage fiele mir die Entscheidung sehr viel schwerer als damals.

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Weitere Quelle: DPA.