Mit Angela Merkels Besuch in Israel verhält es sich wie mit einer eigenartigen Theateraufführung. Alle Scheinwerfer richten sich auf zwei fixe Punkte, während die Schauspieler im Dunkeln stehen. Alle reden über Merkels geplante Rede vor der israelischen Knesset und darüber, dass die Kanzlerin nicht nach Ramallah zu den Palästinensern fährt. Doch beides bedeutet eher wenig bei dieser ersten deutsch-israelischen Regierungskonsultation.
Drei Tage lang bereist Merkel Israel. Von Sonntag bis Dienstag absolviert sie ein Besuchsprogramm im Minutentakt: der Kibbuz von Staatsgründer David Ben Gurion, ein Wissenschaftszentrum und die Benediktiner-Abtei Dormito, dazwischen dutzende Gespräche mit Politikern und als Herzstück die Konsultation am Montag zusammen mit sechs deutschen Ministern und ihren israelischen Amtskollegen.
Mit dieser ab nun jährlich geplanten Institution gehen beide Staaten einen bedeutenden Schritt aufeinander zu: Nur mit Frankreich, Italien, Spanien, Polen und Russland pflegt Berlin solch gemeinsamen Regierungssitzungen. Israel rückt in diesen drei Tagen näher an Europa heran. Nicht einmal mit den USA arbeitet Israel so formell zusammen. Die Kontakte zwischen Deutschland und Israel erhalten über die Erinnerung an den Holocaust hinaus neue ritualisierte Formen und Symbole; zahlreiche bilaterale Abkommen werden in den drei Tagen beschlossen werden. Sie werden dafür sorgen, dass sich Deutsche und Israelis noch besser kennen lernen, sich verstehen lernen und voneinander profitieren.
Besser "Hard Talk" als reine Symbolik
Doch über Papier zu reden scheint langweilig - und so wird zum Beispiel lieber landauf, landab über Merkels Rede in der Knesset philosophiert. Die Kanzlerin wird dort als erste ausländische Regierungschefin sprechen, die Parlamentspräsidentin hat extra vor kurzem die Statuten geändert. Bisher durften nur Präsidenten und Könige dort sprechen. Dass Merkel auch in der Sprache der Täter und Massenmörder das Wort ergreift, dokumentiert, wie entspannt das Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis im Vergleich zu früher geworden ist. Das ist eine wichtige Wegmarke in der gemeinsamen Geschichte, schließlich wurde 1965 noch das Auto des ersten deutschen Botschafters in Tel Aviv mit Steinen beworfen; so tief saß das Grauen über die deutschen Untaten. Überraschendes und bisher Unbekanntes wird jedoch die Rede der Kanzlerin nicht enthalten, umso interessanter dürften die informellen Gespräche hinter den Kulissen sein.
Das zweite Augenmerk vieler deutscher Medien hat sich im Vorfeld der Reise auf die Reiseroute gerichtet. Während bei Israel-Besuchen ein Abstecher ins Westjordanland und seiner wichtigsten Stadt Ramallah international obligatorisch ist, verzichtet Merkel darauf. Die Kanzlerin argumentiert mit dem besonderen Charakter der Reise: eine Regierungskonsultation beginnt man nicht im Galopp, und auch ist Merkel die erste ausländische Regierungschefin, die Israel zum Auftakt seiner Feierlichkeiten rund um den 60. Gründungstag Mitte Mai besucht. Zu Recht lässt sie also diesmal Ramallah links liegen. Die Anstandsbesuche so vieler Politiker in der Westbank haben den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern einer Lösung nicht näher gebracht.
Das Abfahren der wenigen Kilometer zwischen Jerusalem und Ramallah hat vielmehr eine Scheinwelt geschaffen: Palästinenserführer treffen die Mächtigsten der Welt alle Tage bei sich daheim; sie selbst aber üben nur die Hausmacht von Bürgermeistern aus, alle anderen Kompetenzen beschneiden ihnen die Israelis durch die Besatzung. Anstatt symbolhaften Pendelns könnte zur Abwechslung also die frei werdende Zeit in intensive Gespräche investiert werden, in echten "Hard Talk". Leider ist Merkel dafür die falsche Person. Und vielleicht ist sie deshalb in Israel so beliebt.
Merkel will Zuneigung - und meidet klare Sprache
In Russland und China reüssierte die Kanzlerin als Liebhaberin eindeutiger und kritischer Worte. Menschenrechte sind ihr dort ein wichtiges Anliegen. Doch in Israel schleppt die Kanzlerin ständig einen Koffer mit rohen Eiern mit sich - und will jede Erschütterung vermeiden. Es ist bekannt, dass sie in ihren Gesprächen mit israelischen Politikern viel weniger offen kritische Menschenrechtsthemen anspricht als die anderen Europäer und die Amerikaner. Die Besatzung in der Westbank, die Angriffe auf Gaza, der Mauerbau auf palästinensischem Boden, die jüngsten Siedlungsaktivitäten in den besetzten Gebieten - zu bereden gäbe es viel, man ist ja unter Freunden.
Ihre Vorgänger Gerhard Schröder und Helmut Kohl sind da beherzter aufgetreten. Die Kanzlerin aber scheint nach einem von ihr in der Innenpolitik bekannten Prinzip zu handeln, und zwar mit wenig Aufwand so viel Zuspruch wie möglich zu suchen. In Israel findet sie ihn. Nur sieht gestalterisches Wirken anders aus. Merkel setzt lieber auf blumige Worte, im Dezember 2006 etwa kündigte sie eine "Nahost-Initiative" an. Geschehen ist bis heute nichts.