Fried – Die Politik-Kolumne Warum Politikerflüge sinnvoll sind – und die Mitreise von Journalisten auch

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Nico Fried über die Wichtigkeit der journalistischen Begleitung von Politikern bei Flugreisen 
© Illustration: Sebastian König/Stern; Foto: Henning Kretschmer/Stern
Das Flugdebakel von Annalena Baerbock hat Politikerreisen in Verruf gebracht. Der Journalistentross wird als Hofstaat kritisiert. Warum solche Medienreisen dennoch sinnvoll sind, erklärt stern-Kolumnist Nico Fried.

An Mitreisen mit Politikern in Flugzeugen der Bundeswehr habe ich manch schöne Erinnerung. 2014 – ich weiß nicht mehr, wohin die Reise ging – besprachen wir Journalisten mit Angela Merkel über den Wolken die Neubesetzung europäischer Führungspositionen. Ich fragte die Kanzlerin, ob sie nicht finde, dass Jean-Claude Juncker zu alt sei für den Posten des Kommissionspräsidenten. Mir fiel auf, dass meine Kolleginnen und Kollegen peinlich betreten schwiegen. Dann antwortete mir Merkel lächelnd: "Sie wissen schon, dass Jean-Claude Juncker ein halbes Jahr jünger ist als ich?"

Seit Annalena Baerbocks pazifische Reisepläne in Wolken aus 160 Tonnen Kerosin verdunsteten, stehen Politikerreisen generell, die Flugbereitschaft im Besonderen und nebenbei auch die mitreisenden Reporter in der Diskussion. Okay, man kann darüber streiten, ob zur Eröffnung einer deutschen Botschaft auf den Fidschi-Inseln die Anreise der Ministerin notwendig ist. Aber Tatsache ist auch, dass persönliches Erscheinen gerade von Politikern aus einer wirtschaftsstarken Demokratie wie Deutschland für viele Gastländer Bedeutung hat. Beziehungen lassen sich nicht allein am Telefon pflegen. Und wo die Deutschen Desinteresse zeigen, springen andere schnell und gern in die Lücke.

Dass die Spitzen der Republik in Flugzeugen der Bundeswehr abheben können (auch wenn die nicht immer am gewünschten Ziel ankommen), finde ich selbstverständlich. Die Vorstellung, der Kanzler oder wichtige Minister buchten sich Linienflüge, ist ungefähr so realistisch wie ein Stones-Konzert mit Ukulelen und ohne Verstärker. Boris Pistorius dürfte es zudem schwer haben, einen Linienflug nach Gao in Mali zu finden. Und sollte Olaf Scholz eines Tages doch bei Friedensgesprächen mit Putin und Selenskyj sitzen, wäre es dem Ruf der deutschen Außenpolitik nur bedingt zuträglich, wenn er vorzeitig gehen müsste, um seinen Linienflug nicht zu verpassen.

Nico Fried: "Nähe herstellen, ohne Distanz aufzugeben"

Die Begleitung von Politikern auf ihren Reisen ist fast so alt wie die Bundesrepublik. Gemessen am Aufwand, den Konrad Adenauer 1955 für seinen legendären Besuch in Moskau betrieb, reisen seine Nachfolger heute fast bescheiden. Die Delegation umfasste 142 Personen, 25 flogen in Adenauers Flugzeug, 27 in einer zweiten Maschine mit dem Außenminister, 66 fuhren mit einem Sonderzug, weitere 24 flogen Linie. Dazu kamen zwei Chartermaschinen mit mehr als 100 Journalisten.

Was die Journalisten heute betrifft, werden sie von Kritikern gern als Hofstaat bezeichnet. Dazu sollte man mindestens wissen, dass die Verlage und Sender die Flugkosten ihrer Reporter, die Olaf Scholz, Annalena Baerbock oder Christian Lindner begleiten, ebenso übernehmen wie die Übernachtungskosten. Bei Gipfeltreffen der G7 oder der G20 oder der UN-Vollversammlung in New York, wenn Zimmer knapp und teuer sind, geht das ordentlich ins Geld. Der touristische Ertrag solcher Kurztrips hält sich in überschaubaren Grenzen. Oftmals sitzt man als Reporter zwei, drei Tage in einem abgeschiedenen, fensterlosen Pressezentrum. Aber ich klage nicht!

Diese Reisen lohnen sich trotzdem. Auf den Flügen findet auch ein Kanzler mal die Zeit für ein ausführliches Gespräch, die er in Berlin selten hat. Vielleicht sogar für zwei. Man kann mit Beamten plaudern und Mitarbeiter ausfragen. Ja, man kann Nähe herstellen, ohne Distanz aufzugeben. Anders gesagt: Die Begleitung von Politikern hilft Journalisten, sich eine Meinung zu bilden, statt einfach nur eine zu haben.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Erschienen in stern 35/2023