Das Schönste an der parlamentarischen Sommerpause ist die Vorfreude auf ihr Ende. Sie mögen sich darüber wundern, liebe Leserinnen und Leser, weil Sie eigentlich ganz froh sind, wenn es in der Zeitung nicht jeden Tag um die Mängel der Ampelkoalition geht. Wenn FDP und Grüne sich nicht ständig wie die Kinder auf dem Schulhof gegenseitig vorwerfen: "Die haben aber angefangen!" Wenn Sie als Fernsehzuschauer nicht jeden Abend das Foto von Olaf Scholz im Vorspann der "Tagesschau" sehen und sich fragen, was er wohl heute wieder nicht dazu gesagt hat.
Das ist alles sehr verständlich, und uns Journalisten geht es nicht anders. Gerade nach so intensiven beruflichen Monaten wird man bisweilen von Veränderungen im persönlichen Umfeld regelrecht überrascht. Wer zum Beispiel ist diese junge Dame, die mittlerweile bei uns wohnt? Ach, meine Tochter! Sieh mal an, groß geworden. Auch ist es schön, mal mit der Ehefrau ein Glas Rotwein unterm sommerlichen Sternenhimmel zu trinken und nicht mit dem Kanzler und Kollegen nach Mitternacht an irgendeiner Hotelbar im sogenannten globalen Süden.
Das Ende der Sommerpause
Trotzdem freue ich mich darauf, wenn es wieder losgeht. Die Politik kommt aus den Sommerferien stets mit vielen guten Vorsätzen zurück, die sich zu ihrem Leidwesen, aber zugunsten unserer Notizblöcke binnen Tagen wieder auflösen. Da weiß man doch wieder, warum man Journalist geworden ist. Was schlecht gelaufen ist, soll besser laufen, weniger Kakofonie, mehr Disziplin.
Ja, denkste.
Nehmen wir nur die Union. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz will erst im Spätsommer 2024 über die Kanzlerkandidatur sprechen. Neulich hat er klargestellt, dass der Spätsommer "bis Ende September" reiche. Das muss er von Angela Merkel gelernt haben, die im Januar 2021 versprach, bis Ende des Sommers werde Coronaimpfstoff für alle vorhanden sein, und hinzufügte: "Das Ende des Sommers – das sage ich, damit wir uns darüber nicht weiter streiten – ist rein kalendarisch der 21. September."
Die Union und die K-Frage
Aber zurück zur Kanzlerkandidatur, mit der Merkel ja nichts mehr zu tun hat, auch wenn man sich vorstellen könnte, dass die Zahl derer in der Union wieder wächst, die das bedauern. Die Kanzlerkandidatur also, so hat man es sich gemeinsam vorgenommen, klärt Merz mit dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder in einem Gespräch, bei dem sich die beiden fast so tief in die Augen schauen werden wie meine Frau und ich beim Rotwein. Und bis dahin redet niemand in der Union über diese Frage?
Der ebenso verdiente wie gebildete Kollege Andreas Hoidn-Borchers würde an dieser Stelle Bertolt Brechts Lied von der Unzulänglichkeit des Menschen aus der "Dreigroschenoper" zitieren:

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Ja, mach nur einen Plan
Sei nur ein großes Licht
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
Geh’n tun sie beide nicht!"
Denn die Diskussion hat ja längst begonnen (stern-Leser wissen mehr!). Und selbst wenn sich Unionspolitiker in den nächsten Wochen zusammenreißen sollten, flammt sie spätestens am Abend der Landtagswahlen in Bayern und Hessen am 8. Oktober wieder auf – und zwar, wenn Sie’s genau wissen wollen, im ersten Fernsehinterview mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann um kurz nach 18 Uhr. Etwa so: "Herr Linnemann, was bedeuten diese Ergebnisse jetzt für die Frage der Kanzlerkandidatur?"
Hach, es wird herrlich! Wann ist endlich Herbst?
Nico Fried freut sich, von Ihnen zu hören. Schicken Sie ihm eine E-Mail an nico.fried@stern.de