Ein Gespenst geht durch die Städte und Gemeinden. Ein braunes Gespenst. Wer wurde nicht schon alles von ihm heimgesucht? Rauen, Delmenhorst, Celle, Hameln, Wittmund, Dörverden und viele andere. Nun trifft es also Melle. Nazi-Anwalt Jürgen Rieger soll hier ein Schulungszentrum für seinesgleichen errichten wollen.
Schon wieder dieser Rieger, schon wieder ein Schulungszentrum und schon wieder in einer Kleinstadt, die auf diesem Weg einen zweifelhaften Bekanntheitsgrad erreicht. Und schon wieder müssen sich Bürger und Bürgermeister fragen, wie sie das braune Gespenst am besten los werden.
Dem Bahnhof droht ein brauner Anstrich
Melle ist eine Stadt im Süden im Süden Oldenburgs mit immerhin 48.000 Einwohnern. Melle hat einen 140 Jahre alten Bahnhof auf 800 Quadratmetern und einem angrenzendem 3500 Quadratmeter großen Grundstück zu verkaufen. Oder besser gesagt, hatte. Denn im September wurde die Immobilie für 700.000 Euro an Jürgen Rieger verkauft, der inzwischen zum NPD-Landesvorsitzenden in Hamburg aufgestiegen ist. Der Kaufvertrag ist unterschrieben, aber bezahlt wurde bislang nicht.
Ein Flugblatt macht die Runde
Doch dafür überschlagen sich auf dem Gelände die Ereignisse. So wehte am 10. Oktober eine NPD-Partei-Flagge über dem Bahnhof, die jedoch Tags darauf wie von Geisterhand wieder verschwand. Nur neun Tage später gründete sich die Bürgerinitiative "Meller gegen Nazis", vielleicht auch, um das Schlimmste noch zu verhindern. Geht man nun durch Melle und fragt die Einwohner, was nur los sei in ihrer kleinen Stadt, so kommt die erste Antwort von Maik Selle, 29. Er betreibt das Internetcafe: "La Galeria" in der Haferstraße. "Darüber müssen Sie mal schreiben, das ist eine Unverschämtheit, dass die hierher kommen." Ohne Punkt und Komma lässt er sich dann gefühlte fünf Minuten über das Versagen der Stadt aus. Und berichtet über eine Art Redeverbot für die Lokalzeitung "Meller Kreisblatt", initiiert vom CDU-Bürgermeister André Berghegger.
Woher er diesen absurden Vorwurf hat? Nun, dieser stammt aus einem knallgelben Flugblatt, das mit der Überschrift "Öffentliche Bekanntmachung!" in vielen Geschäften der Stadt ausliegt. Doch ein Verantwortlicher im Sinne des Presserechts ist darauf nicht zu finden. Unten rechts findet man nur den Hinweis "P.S.: C-A 5. Nov. 07". Doch wenn die Verfasser über ein "Schmuckstück von Melle" schwadronieren, zu der der Bahnhof werden soll, und betonen, dass der "Käufer sehr großen Wert darauf legt, das "Bahnhofsgebäude stilgerecht zu restaurieren", dann mag man die Stoßrichtung des Pamphlets erahnen. Hier wird Meinung, wohl für den NPD-Kauf gemacht.
Verschwiegene Lokalpresse
Ein Besuch der Internetseite des "Meller Kreisblatts" und die Eingabe des Stichworts "Meller Bahnhof" in der Suchmaske fördern immerhin beruhigende 64 Treffer zu Tage. Doch bei näherem Hinsehen ist es Freitagmorgen nur ein Eintrag, der sich tatsächlich mit dem Verkauf beschäftigt. Er datiert unter der Überschrift: "Eine Stadt macht gegen rechts mobil" vom 11.9. Gibt man Jürgen Rieger ein, dann findet das System sieben Treffer.
Doch darunter befindet sich der oben genannte Text, zudem ein alter Text aus dem Sommer 2006 und nur ein anderer Stück mit der Überschrift: "Eigentümer wird stumm", welches sich mit dem Thema NPD beschäftigt. Und der Link mit der Überschrift: "Wir wollen keine braune Brut", nun, der ist einfach tot! Doch wenn man dann weiter sucht, finden sich auf der Seite www.melle-sagt-nein.de doch noch einige aktuelle Berichte aus dem "Meller Kreisblatt" über den Verkauf und die Aktivitäten gegen die "NPD" in der Stadt.
Ein hochverschuldeter Verkäufer
Spricht man später noch mit der Pressesprecherin der Stadt Melle Sabine Vollmer, 25, dann bricht sie sofort eine Lanze für die lokale Tageszeitung. Und vermutet "technische Probleme", ergänzt noch, dass wohl "nicht alle Texte ins Netz gestellt werden". Ihr liegen auch zahlreiche "neue Texte" vor, die sie "leider aus Zeitgründen nicht verschicken" könne. Also doch alles gut in Melle? Ist die Gefahr gebannt?
Nun ja. Denn dann klärt Vollmer den Anrufer noch über die Hintergründe des Bahnhofsdeals auf: "Das Bahnhofsgebäude steht unter einer Zwangsverwaltung, da hohe Schulden auf das Gebäude im Grundbuch eingetragen" sind. "Gerichtlich" sei der Zwangsverwalter gegen den ehemaligen Mieter Schimweg vorgegangen, denn dieser ist zur Besitzübertragung nicht berechtigt solange die Gläubigerin nicht bedient wird. So kam es dann "am 6. November 2007 zur Räumung mit dem Austausch der Schlösser."
An diesem Tag tauschte die Polizei alle alten Schlösser im 140 Jahre alten Bahnhofs-Gebäude aus. Selbst zwei Beamte der Abteilung Staatsschutz aus Osnabrück seien laut Angaben des "Meller Kreisblatts" vor Ort gewesen. Der "Besitzübergang" der Immobilie sei für den "ersten Dezember" vorgesehen, so die Zeitung weiter.
Auf die Sache mit der NPD-Flagge angesprochen, die am 10. Oktober über dem Meller Bahnhof flatterte, sagt Vollmer: "Dies war sicher kein schönes Bild für Melle, die Fahne dort zu sehen und sicher recht abschreckend." Wer die Fahne denn nun abgemacht habe, dass "wisse man nicht".
Begrüßung mit NPD-Flagge
Fragt man den Erfinder der Seite "Melle-sagt-Nein" Olaf Jörding, 31, was zurzeit in seiner Heimatstadt geschieht, so hört man folgendes: "Ich fände die Vorstellung mehr als grausam, wenn Bahnreisende von NPD-Fahnen begrüßt werden. Das macht mir ein verdammt ungutes Gefühl." Den Internet-Programmierer kann man durchaus als Speerspitze des Protests in der Stadt bezeichnen. Doch immerhin rechnet er "nicht mit einer Übergabe" am ersten Dezember.
Nach einem Besuch in Melle verlässt man die Stadt doch eher nachdenklich und mit einem schlichten Wunsch - dem Wunsch nämlich, dass das braune Gespenst die hübsche Stadt bald wieder verlassen möge. Und zwar ohne Wiederkehr.